Der leiseste Verdacht
wieder ins Bett zu gehen und sich in ein Buch zu vertiefen. Stattdessen ging sie unter die Dusche.
Sie kam gerade aus dem Badezimmer, als das Telefon in der Küche klingelte. Im Bademantel, um die nassen Haare ein Frotteehandtuch gewickelt, eilte sie dem unnachgiebig klingelnden Apparat entgegen. Sie ahnte, wer es war, und nahm mit leichtem Zittern den Hörer ab.
»Ja?«
»Ach? Bist du zu Hause? Heißt das, ihr habt euch wieder versöhnt?«
Marikas helle, melodiöse Stimme löste bei Katharina stets große Freude aus, doch an diesem Tag konnte sie noch nicht einmal das ungetrübt genießen.
»Hallo, mein Schatz«, sagte sie. »Ich habe gehört, dir geht es besser. Ja, wir haben uns so einigermaßen wieder vertragen.«
Katharina wurde bewusst, wie angespannt sie klang.
»So einigermaßen? Was war denn eigentlich los? Papa wirkte total deprimiert.«
Marikas Stimme hatte jetzt diesen inquisitorischen Ton, der bedeutete, dass sie nicht locker lassen würde, ehe sie Klarheit gewonnen hatte.
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»Hat er dir denn nichts gesagt?«, fragte Katharina.
»Nein. Er sagte nur, du wärst stocksauer auf ihn und würdest eine Weile bei Kajsa wohnen.«
Katharina holte tief Luft, ehe sie ohne Umschweife sagte: »Er ist mir wieder untreu gewesen.«
Eine Weile war es still in der Leitung, dann sagte Marika:
»Mein Gott, ist er kindisch. Hat er diese Phase nicht inzwischen hinter sich?«
Katharina lächelte. »Offenbar nicht. Aber vielleicht ist er ja auf gutem Weg.«
»Mit wem war er jetzt wieder zusammen? Jemand, den wir kennen?«
»Nein, niemand, den wir kennen. Außerdem ist die Affäre beendet. Es ist vor einem halben Jahr passiert.«
»Warum hat er jetzt erst davon erzählt?«
»Er fühlte sich dazu gezwungen.«
Marika seufzte resigniert auf. »Also ist die Sache doch noch nicht richtig ausgestanden. Aber trennen willst du dich trotzdem nicht von ihm, oder?«
»Nein, aber ich arbeite daran.«
»Dann passt es wohl nicht besonders gut, wenn ich nach Hause komme«, sagte Marika enttäuscht.
Katharinas Herz zog sich erschrocken zusammen.
»Was sagst du da? Aber natürlich kannst du nach Hause kommen. Wir hatten doch gerade erst verabredet, dass du an Christi Himmelfahrt kommst und übers Wochenende bleibst.
Wir streiten uns nicht den ganzen Tag, falls du das befürchten solltest. Das Schlimmste ist sicherlich vorüber, bis …«
Marika unterbrach sie. »Ich meinte heute.«
»Heute? Wie sollte das gehen?«
»Es sollte eigentlich eine Überraschung werden.« Marika 228
klang ein bisschen beleidigt. »Aber jetzt kann ich’s ja auch gleich erzählen. Daniel hat am Mittwoch seinen Führerschein gemacht.«
Sie machte eine absichtsvolle Pause, um ihrer Mutter Gelegenheit für einen Freudenausbruch zu geben.
»Ist das wahr?«, reagierte Katharina erwartungsgemäß. »Wie schön. Also das ging ja wirklich schnell. Er hatte doch erst vor kurzem angefangen. Grüß ihn bitte und gratuliere ihm von mir.«
Marika sagte: »Daniel kann sich übers Wochenende das Auto seines Vaters ausleihen, und eigentlich wollten wir euch besuchen, aber wenn ihr euch streitet, dann macht es keinen Spaß. Ich will nicht, dass Daniel einen komischen Eindruck von meinen Eltern bekommt.«
Katharina entgegnete gereizt: »Er hat uns doch schon mehrmals getroffen, und bis jetzt haben wir uns in seiner Gegenwart weder gezankt noch geschlagen, und das werden wir diesmal auch nicht tun. Glaubst du etwa, dass er nicht in der Lage ist, sich mit ganz normalen Konflikten auseinander zu setzen?«
»Das sind doch wohl keine normalen Konflikte«, entgegnete Marika vorwurfsvoll. »Außerdem streiten sich seine Eltern nie.
Er ist so was nicht gewohnt.«
Katharina platzte der Kragen. »Ach nein?«, sagte sie spitz.
»Armer Daniel, ich hoffe, er nimmt keinen allzu großen Schaden.«
Sie bereute ihre Worte auf der Stelle, kämpfte jedoch mit widerstreitenden Gefühlen. Der vorwurfsvolle Ton ihrer Tochter kränkte sie zutiefst, doch einem gemeinsamen Besuch von Marika und Daniel fühlte sie sich momentan kaum gewachsen.
Andererseits war sie schrecklich enttäuscht, auf diese Weise um die Freude eines Überraschungsbesuchs gebracht zu werden. Sie hätte so viel darum gegeben, ihre Tochter eine Weile in die Arme schließen zu können. Sie spürte einen Kloß im Hals.
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»Entschuldige«, sagte sie. »Wir haben im Moment fürchterlich viel um die Ohren. Mehr als du dir vorstellen kannst. Du hast sicherlich Recht. Es ist wohl das Beste, euren
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