Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
Vom Netzwerk:
er für ihren Geschmack zu » ungestüm « und zu betrunken gewesen sei.
    Frau Wester hingegen habe ihn unbedingt näher kennen lernen wollen. Frau Nordh hatte den Eindruck, dass Herr Andersson diesen Wunsch nachhaltig erwiderte, und so hätten beide die Gesellschaft mit » auffälliger Eile « verlassen. Andersson habe sie nie wieder gesehen, jedoch von ihrer Freundin gehört, dass er jeden weiteren Kontakt zu MW abgelehnt habe. MW habe ihr einen Brief Anderssons gezeigt, der regelrecht unverschämt gewesen sei und MW tief verletzt habe. Die Frage, ob Andersson als Mörder von MW in Betracht komme, hat sie mit einem klaren Nein beantwortet. Sie betonte, dass sie Männer gut einschätzen könne, weil sie in ihrem Gewerbe ohnehin darauf achten müsse, kein unnötiges Risiko einzugehen. Irrtümer seien natürlich nicht ausgeschlossen, aber im Großen und Ganzen könne sie sich auf ihr Urteil verlassen. Ihr zufolge sei es nahezu unvorstellbar, dass Patrik Andersson eine Frau tötet.

    Das war’s fürs Erste. Lass von dir hören. Hjalle P.
    262

    20
    Dienstag, 9. Mai
    Roffe befand sich irgendwo über Småland, dessen Himmel an diesem Tag von keiner Wolke getrübt wurde. Er lehnte sich bequem in seinem Sitz zurück, betrachtete die Landschaft unter sich und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Das monotone, dumpfe Surren der Motoren machte ihn schläfrig. In weniger als einer Stunde würde er in Stockholm sein.
    Wenn er sein Vorhaben schnell erledigte, was er inständig hoffte, blieben ihm noch mehrere Stunden, um nach Bromma hinauszufahren und Camilla zu besuchen. Er hatte sie seit mehreren Monaten nicht gesehen und freute sich schon jetzt auf ihr verblüfftes Gesicht. Vielleicht sollte er ein Geschenk kaufen.
    Allerdings war es schwer zu beurteilen, worüber sie sich im Moment wirklich freuen würde. Sie selbst hatte von einer CD
    gesprochen, doch hatte er es längst aufgegeben, ihren komplizierten Musikgeschmack verstehen zu wollen. Das Risiko, völlig daneben zu liegen, war groß, wenn er von seinem eigenen Geschmack ausging. Er sollte ihr Geld geben, um sich selbst eine CD auszusuchen. Allerdings hatte die ganze Angelegenheit einen Haken: Wenn er nach Bromma fuhr, lief er Gefahr, auch Anita zu begegnen, worauf er nun wirklich keinen Wert legte. Es ließ sich nicht leugnen, dass er vor seiner geschiedenen Frau weiterhin eine gewisse Furcht hegte. Aus irgendeinem Grund gelang es ihr immer, ihn in die unsinnigsten Diskussionen zu verwickeln. Die letzten Jahre ihrer Ehe waren von ständigen Meinungsverschiedenheiten geprägt gewesen, und obgleich sich ihr Umgangston entspannt hatte, waren die Unstimmigkeiten geblieben. Das Unangenehmste war ihre vermeintliche moralische Überlegenheit, die auf ihrer und wohl auch seiner unausgesprochenen Überzeugung beruhte, dass er 263

    ihr Unrecht getan hatte. Er war es, der die Scheidung durchgepeitscht hatte. Er war es, der ihr keine Chance mehr hatte geben wollen, was er im Grunde seines Herzens kein bisschen bedauerte. Aber jetzt hatte er Sehnsucht nach seiner jüngsten Tochter. Wie wäre es, wenn er sie einfach aus der Stadt anrief und zu einem luxuriösen Mittagessen einlud? Das wäre ganz nach ihrem Geschmack. Sie liebte das Unvorhergesehene und hatte gegen ein bisschen Luxus nichts einzuwenden. Er lächelte bei der Vorstellung, in einem exklusiven Ambiente ihre erfrischende Gesellschaft zu genießen.
    Die Zeitung lag immer noch zusammengerollt und ungelesen auf seinem Schoß. Er würde sie heute Abend auf dem Rückflug lesen, jetzt war er zu unkonzentriert.
    Unsinnigerweise verspürte er einen gewissen Widerwillen gegen das Treffen, das der eigentliche Zweck seiner Reise war.
    Vermutlich lag dies an dem merkwürdigen Telefongespräch, das er gestern geführt hatte.
    Mit dunklen Vorahnungen hatte er einen Regierungsdirektor namens Roos an den Apparat bekommen und mit ihm ein kurzes, unangenehmes Gespräch geführt. Es ließ sich beim besten Willen nicht behaupten, Roos wäre von Hauptkommissar Stenbergs Gründlichkeit begeistert gewesen. Er ließ hingegen durchblicken, Stenberg fische in fremden Gewässern und solle sich lieber seiner eigentlichen Aufgaben besinnen. Roffe hatte jedoch die Angewohnheit, auch Vorgesetzten gegenüber keinen Millimeter zurückzuweichen, wenn er von einer Sache überzeugt war. Der Regierungsdirektor hatte ihn abzuwimmeln versucht, aber er ließ sich nicht abwimmeln. Deswegen saß er jetzt hier in diesem Flugzeug.
    Es war Roos gewesen, der die knappe

Weitere Kostenlose Bücher