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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
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bekleidet, die Haare nass und wirr. Den Gürtel hatte sie irgendwo verloren, also musste sie den Bademantel mit der Hand zusammenhalten.
    Zum Umkehren war es zu spät. Ihr Zustand verlangte eine Erklärung. War sie dazu in der Lage?
    Patrik lief ihr erschrocken entgegen. Sie warf sich ihm in die Arme.
    »Ist etwas mit Marika?«, fragte er. »Ist ihr was passiert?«
    Zunächst verstand sie nicht, was er meinte, begriff dann aber, dass es die nahe liegendste Erklärung für ihren hysterischen Auftritt war. Sie schüttelte den Kopf und spürte, wie ihre Verkrampfung sich löste.
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    »Nein, es ist Marco«, schluchzte sie.
    Im nächsten Moment wurde sie von allen umringt und mit Fragen bombardiert. Signe wollte sie erst mal ins Trockene bringen, doch sie flehte Patrik an, sofort mit ihr nach Hause zu fahren. Nach einigem Hin und Her fand sie sich auf dem Beifahrersitz wieder, während sich Patrik hinter das Steuer setzte. Er wendete den Wagen und winkte Signe und Kalle zu, die bestürzt und verwirrt auf dem Hofplatz zurückblieben. Roffe folgte ihnen mit seinem Wagen.
    Patrik betrachtete sie von der Seite. Seine buschigen Augenbrauen waren nach oben geschnellt, wie stets, wenn er aufgebracht war.
    »Was ist denn passiert?«, fragte er erregt.
    »Ich habe Marco erschlagen«, antwortete sie mit erstickter Stimme und versuchte ihr tränenüberströmtes Gesicht mit einer Ecke ihres Bademantels zu trocknen.
    Er brauchte eine Weile, um diese Neuigkeit zu verdauen. Doch nach einer Minute fragte er: »Wie ist das möglich? Er ist doch viel stärker als du.« Er schien ihr nicht zu glauben.
    »Er liegt auf dem Küchenboden, sieh selbst.«
    Sie drehte den Kopf, um sich zu vergewissern, dass Roffe dicht hinter ihnen fuhr.
    »Woher weißt du, dass er tot ist?«, fragte Patrik.
    »Er sah tot aus«, schniefte sie.
    Schweigend trat er aufs Gaspedal. Sie fuhren an Knigarp vorbei und bogen in gefährlich hohem Tempo auf den kleinen Weg ab. Erst als sie das Eingangstor erreicht hatten, bremste er abrupt und stellte den Motor ab.
    »Bleib hier sitzen!«, sagte er entschieden. »Ich geh rein und schau nach.«
    Sie beobachtete, wie er auf die Haustür zueilte, vor der Eingangstreppe stehen blieb und sich umsah. Dann nahm er 254

    einen kleinen, orangefarbenen Spaten zur Hand, den sie an der Treppe stehen gelassen hatte. Derart bewaffnet ging er ins Haus.
    Im selben Moment fuhr Roffe auf das Grundstück. Er lief auf sie zu und half ihr aus dem Wagen.
    »Was ist los?«, fragte er bestürzt.
    Sie antwortete nicht, weil in diesem Augenblick Patrik im Türrahmen erschien.
    »Er ist nicht mehr da!«, rief er.
    Katharina drückte Roffes Arm und flüsterte: »Dann habe ich ihn nicht umgebracht.«
    Roffe zog sie zur Tür.
    »Wer ist nicht mehr da? Und wen hast du nicht umgebracht?«, rief er aus.
    Nachdem PM auf Katharinas dringliche Bitte hin das ganze Haus durchsucht und Marco Fermi nicht entdeckt hatte, versammelten sich alle drei um die Blutlache in der Küche.
    Katharina bemühte sich um eine anschauliche Beschreibung des Tathergangs und demonstrierte Roffe, wie sie zugetreten hatte.
    PM brach in schallendes Gelächter aus.
    »Wo hast du denn das gelernt? Ich dachte, du hättest im Winter Tai-Chi gemacht.«
    Sie sandte ihm einen zornigen Blick. »Hab ich auch. Es ist einfach so passiert. Kapierst du das nicht?«
    Roffe schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich möchte jetzt nicht an Fermis Stelle sein. Ein gebrochenes Nasenbein tut fürchterlich weh. Außerdem besteht die Gefahr, dass sichtbare Spuren bleiben. Ich frage mich, ob er klug genug ist, einen Arzt aufzusuchen.«
    PM hatte begonnen, das Blut mit Küchenpapier wegzuwischen.
    »Er ist doch selbst schuld«, sagte er. »Wer sich mit Katharina anlegt, muss auch die Konsequenzen tragen.«
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    »Er muss rasch zu sich gekommen sein, nachdem du weggefahren bist«, sagte Roffe. »Sonst wären wir ihm doch auf dem Weg begegnet.«
    »Vielleicht hat er den Weg durch den Wald genommen«, sagte PM.
    Katharina ließ sich erschöpft auf den nächstbesten Küchenstuhl sinken. Sie hatte zunächst eine unendliche Erleichterung empfunden; die Erkenntnis, ihn nicht getötet zu haben, war wie ein Rausch gewesen. Aber die Freude währte nicht lange. Ein toter Marco wäre natürlich eine Katastrophe gewesen, aber ein lebender und gedemütigter Marco mit gebrochenem Nasenbein war auch eine Katastrophe. Als befände sich ein angeschossener Tiger in ihrer Nähe. Sie schaute hilflos zu Roffe hinüber.
    »Was

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