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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
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Wind.
    Aber er kam nicht. Warum nur? Lag er etwa besinnungslos auf dem Fußboden?
    Katharina vergegenwärtigte sich, was eigentlich geschehen war, und staunte, zu welcher Brutalität sie imstande gewesen war. Und wenn sie ihn nun ernsthaft verletzt hatte? Vielleicht brauchte er einen Arzt.
    Ach, verdammt, es war doch nicht ihre Sache, sich darüber Sorgen zu machen. Sie hatte in Notwehr gehandelt. Vielleicht wäre der zweite Angriff mit dem Knie nicht nötig gewesen, aber schließlich hatte sie sich in Lebensgefahr gefühlt.
    Plötzlich blieb ihr das Herz stehen. Und wenn sie ihn getötet hatte? Um Gottes willen! Sie hatte mit voller Wucht sein Nasenbein getroffen. Ihr Knie tat immer noch weh. Hatte sie nicht schon mal gehört, dass jemand nach einem kräftigen Schlag auf die Nase gestorben war? Es lief ihr kalt über den Rücken. Hier konnte sie nicht länger sitzen bleiben. Sie fror entsetzlich und musste an ihren Autoschlüssel herankommen. Es regnete wieder in Strömen.
    Als hätte sie Angst, unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, öffnete sie behutsam die Autotür. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Haustür und lauschte gespannt. Nur der Regen und das Rauschen des Windes in den Baumkronen waren zu hören.
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    Mit einem langen Schritt erreichte sie den Kleiderbügel und griff rasch in die Manteltasche. Der Schlüssel fühlte sich beruhigend an. Jetzt musste sie nur noch zurück zum Auto laufen. Aber sie tat es nicht, konnte nicht. Sie musste nachschauen, was geschehen war.
    Immer noch auf Zehenspitzen und mit angehaltenem Atem näherte sie sich der Küche. Zuerst sah sie die Füße, die sich im Teppich verfangen hatten, dann die Beine, die sich in einer unnatürlichen Stellung befanden – sagte man das nicht so? Er lag der Länge nach auf dem Boden, die Hände immer noch zwischen die Beine gepresst. Der Kopf war auf die Seite gedreht und lag in einer Blutlache. Die Nase sah gebrochen aus. Sie konnte weder sehen noch hören, dass er atmete. Ohne den Blick von ihm zu wenden, zog sie sich rückwärts in die Diele zurück.
    An der Haustür drehte sie sich um und rannte zum Auto.
    Mit dieser Situation wurde sie nicht allein fertig. Sie brauchte Hilfe.
    Eine befreiende Gefühllosigkeit war an die Stelle von Wut und Angst getreten. Sonderbar betäubt lenkte sie den Wagen auf die Straße. Während sie Äsperöd entgegenfuhr, gingen ihr verschiedene Möglichkeiten durch den Kopf. Man würde die Tat vermutlich als Totschlag einstufen. Sie hatte keine Ahnung, wie viele Jahre man dafür bekam, ging aber davon aus, dass mildernde Umstände vorlagen.
    Warum war sie so ruhig? Weil sie die letzten Illusionen über ein glückliches Dasein verloren hatte?
    Es war ein Segen, dass Marika in Kalmar wohnte. Wenn sie vorsichtig waren, brauchten ihre Mitschüler nie etwas von der Sache zu erfahren. Die Frage war, wie ihr wohlerzogener Freund sich verhalten würde. Der Schwiegervater in spe unter Mordverdacht, die künftige Schwiegermutter wegen Totschlags hinter Gittern. Aber Marika würde schon damit fertig werden.
    Schwieriger war die Situation für Patrik. Sie fragte sich, ob 252
    dieser Vorfall die Ermittlungen gegen ihn negativ beeinflussen konnte.
    Wie gut, dass sie Roffe hatten. Er würde entscheiden, was in ihrem Fall zu tun war. Bei den vielen Verbrechen, von denen sie betroffen waren, war es äußerst praktisch, einen Hauskommissar zu haben. Sie selbst wollte im Moment nichts als Ruhe.
    Und ihre Arbeit? Verdammt, die hatte sie ganz vergessen. In Gedanken sah sie, wie sich ihre Kollegen feixend um sie versammelten. »Was hast du denn am Wochenende gemacht?« –
    »Ich habe meinen Nachbarn erschlagen.« Konnte man sich beurlauben lassen, um eine Gefängnisstrafe abzusitzen?
    Vielleicht würde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
    Unwillkürlich trat sie auf die Bremse, sodass die Reifen quietschten. Sie hatte Roffes Auto erblickt, das vor Svanbergs Hof stand.
    Ohne weiter darüber nachzudenken, parkte sie den Wagen einfach am Wegesrand.
    Doch erst nach ein paar Schritten sah sie die Gruppe im strömenden Regen vor dem Haus stehen und zu ihr
    hinüberschauen. Der Anblick der vier Menschen riss sie auf einen Schlag aus ihren Gedanken. Sie musste einen sonderbaren Anblick bieten, nur mit einem offenen Bademantel bekleidet, die Haare nass und wirr. Den Gürtel hatte sie irgendwo verloren, also musste sie den Bademantel mit der Hand zusammenhalten.
    Zum Umkehren war es zu spät. Ihr Zustand verlangte eine Erklärung.

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