Ein König für Deutschland
KAPITEL 1
B etrachten Sie das Folgende bitte als deutliche Warnung«, sagte der Richter und sah Vincent eindringlich an. »Sind Sie imstande, eine Warnung zu verstehen, Mister Merrit, wenn man sie als solche kennzeichnet und laut und deutlich ausspricht?«
»Ja, Euer Ehren«, beeilte sich Vincent mit heftigem Kopfnicken zu versichern und dachte: Er darf mir an den Kopf schmeißen, was er will, Hauptsache, ich komm hier heil raus!
»Das sollten Sie auch. Denn wenn man Sie noch einmal erwischt, wie Sie irgendwelche illegalen Dinge mit einem Computer anstellen, dann, Mister Merrit, werden Sie Ihre Freiheit für sehr, sehr lange Zeit los sein.« Der Richter, Seine Ehren Alfred J. Straw, sprach so laut und so deutlich, dass seine Stimme von den Wänden und der reich verzierten Decke des Gerichtssaals 2 des Philadelphia Municipal Court widerhallte. »Und um Ihrer Vorstellungskraft hinsichtlich dessen, was das bedeutet, auf die Sprünge zu helfen, verurteile ich Sie zu einer Woche Arrest im Oak Tree Detention Center . Die Strafe ist sofort anzutreten.«
Damit fiel der Hammer.
Vincent fand die Woche im Gefängnis in der Tat überaus eindrucksvoll, besonders den Abend, an dem ihn eine Gruppe Lebenslänglicher in der Dusche zu vergewaltigen versuchte. Die Wächter retteten ihn in letzter Minute und verlegten ihn in einen anderen Zellenblock, wo er anschließend viel Zeit hatte, über sein Leben nachzudenken. Er kam zu dem Schluss, dass ihn in Philadelphia eigentlich nichts mehr hielt und im Staate Pennsylvania auch nichts, wenn er schon dabei war. Er würde nach Florida gehen. Er hatte schon immer nach Florida gehen wollen.Sonne, Strand und schöne Mädchen. Wenn er die Mühen eines gesetzestreuen Lebens auf sich nehmen wollte, dann konnte er das genauso gut im Warmen tun.
Nach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis stellte er fest, dass seine Freundin ausgezogen war, was ihn angesichts des Zustandes, in dem ihre Beziehung zuletzt gewesen war, nicht im Geringsten wunderte. Dass sie die meisten Möbel mitgenommen hatte, auch solche, die ihr nicht gehörten, war eher hilfreich, denn so passte seine restliche Habe ohne Probleme in seinen rostigen Ford Kombi.
So überquerte Vincent Wayne Merrit im Alter von 21 Jahren erstmals eine Staatsgrenze. Nicht, dass es ihm grundsätzlich an Umzugserfahrung gemangelt hätte: Mit seiner Mutter Lila Merrit, deren einziges und darüber hinaus uneheliches Kind er war, hatte er in den ersten 18 Jahren seines Lebens 19-mal den Wohnsitz gewechselt, allerdings immer innerhalb Pennsylvanias, meistens von Philadelphia weg oder nach Philadelphia zurück und stets im Zusammenhang mit irgendwelchen Liebesgeschichten seiner Mutter, die ihm von Kindesbeinen an erklärt hatte: »Mach dir nichts draus, wenn du ein schräger Vogel bist; deine Mutter ist auch einer.« Über seinen Vater erzählte sie ihm nie etwas. Er musste erst den Code des Schlosses an ihrem Tagebuch knacken, um seinen Namen zu erfahren.
Besagte Tagebücher verwahrte seine Mutter in einem geräumigen Regal neben ihrem Bett. Für jedes Jahr gab es ein eigenes Buch, das die jeweilige Jahreszahl auf dem Rücken trug und mit einem Zahlenschloss gesichert war, das über drei kleine, gerändelte Zahlenräder verfügte. Der damals zehnjährige Vincent sagte sich, dass der Code demzufolge aus einer dreistelligen Zahl bestehen musste. Das wiederum hieß, dass er, wenn er bei 000 anfing und alle Kombinationen bis 999 durchprobierte, unweigerlich auf die richtige kommen würde. Eines Nachmittags, als seine Mutter außer Haus war, schlich er sich in ihr Schlafzimmer, holte das Tagebuch seines Geburtsjahrs heraus, probierte die Zahlen zwischen 000 und 010 durch und stoppte die Zeit, die er dafür benötigte: zwanzig Sekunden. Das multiplizierte er mit 100 undgelangte zu dem überraschenden Resultat, dass er bei diesem Tempo den Code in etwas mehr als einer halben Stunde knacken konnte. Was weitaus schneller war, als er befürchtet hatte.
Tatsächlich brauchte er keine zehn Minuten, denn die gesuchte Zahl lautete 216 – das Datum von Vincents Geburt, der am 16. Februar 1977 das Licht der Welt erblickt hatte. Dies lehrte Vincent etwas über die Art und Weise, wie Menschen Passwörter und Geheimcodes wählen, das ihm später oft von Nutzen sein sollte.
Er knackte gleich auch noch den Code des Tagebuchs vom Jahr davor. Diesmal probierte er es sofort mit dem Geburtstag seiner Mutter: mit Erfolg. Mit einer eigenartigen Erregung, die damit zu tun
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