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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Brink
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auch die ganze Zeit gewusst. Er hat sich einen Feind vom Hals geschafft, und ihr habt geglaubt, es würde niemand merken.« Er kicherte amüsiert.
    »Aber ihr habt Nisse nicht mit einberechnet. Der liebt es, die Jauche abzupumpen.«
    Der Kerl war widerlich. Sie empfand eine lähmende
    Machtlosigkeit. War es möglich, dass man sich in der Ortschaft schon das Maul über sie zerriss? Wenn ja, würde sie Roffe zur Rede stellen. Dann konnte nur die Polizei verantwortlich dafür 243
    sein. Sie sah die höhnische Fratze vor sich und verspürte Ekel.
    Irgendwie musste sie dieses Untier schnellstens aus dem Haus schaffen, bevor es hier weiter sein Gift versprühte. Doch sie hatte Angst, große Angst. Dennoch verspürte sie einen unwiderstehlichen Drang, diesem grinsenden Scheusal das Maul zu stopfen. Ihre Worte kamen wie von selbst, und sie erschrak über das Ausmaß ihrer Verachtung.
    »Du scheinst einiges nicht begriffen zu haben«, sagte sie mit Eiseskälte. »Ich weiß nicht, wie es dort zugeht, wo du herkommst, aber hier kann man nicht einfach seine Frau schlagen und erwarten, dass sie die Klappe hält. Ich kann dir nur raten, Annika in Frieden zu lassen, wenn du dir keine Anzeige wegen Körperverletzung einhandeln willst. Was über uns geredet wird, weiß ich nicht, aber ich warne dich: Solltest du falsche Behauptungen über uns verbreiten, wirst du es bereuen.
    Es dürfte kein Problem sein, dich zur Rechenschaft zu ziehen, wenn man bedenkt, was du in den Nächten so alles …«
    Weiter kam sie nicht. Was der Auslöser war, der ihn die Kontrolle verlieren ließ, würde sie nie erfahren. Das, was folgte, erlebte sie wie in Trance.
    Mit einem Sprung war er bei ihr, riss mit einer einzigen Bewegung ihren Bademantel auf und packte sie an der Kehle.
    Ihre Angst schlug in besinnungslose Raserei um. Instinktiv rammte sie ihm mit voller Wucht das Knie zwischen die Beine.
    Verwundert nahm sie einen erstickten Schrei wahr und sah wie durch einen roten Schleier, dass er vor ihr zusammenklappte. Sie riss das andere Knie nach oben und traf seine Nase. Mit einem dumpfen Geräusch schlug er auf dem Boden auf.

    PM und Roffe fanden Kalle Svanberg in der Werkstatt hinter dem Kuhstall, wo er gemeinsam mit seinem erwachsenen Sohn einen Traktor reparierte. Begrüßungen wurden ausgetauscht, und Roffes höfliche Frage, ob sie ein Problem mit dem Traktor 244
    hätten, quittierten Vater und Sohn mit unbeschwertem Lachen und der Versicherung, es sei nicht schlimmer als üblich. Kalle Svanberg war ein hoch aufgeschossener, hagerer Mann mit kantigen Gesichtszügen. Obwohl seine Haare schneeweiß waren, konnte er kaum älter als sechzig sein. Sein Sohn war schwarzhaarig, doch im Übrigen ein Abbild seines Vaters, wenn auch in einer jüngeren Ausgabe. Beide hatten einen ausgesprochen freundlichen und offenen Blick und nahmen ihren Gästen prompt das Versprechen ab, doch zum
    Kaffeetrinken zu bleiben. »Roffe und ich sind gerade bei Nisse gewesen«, sagte PM, als sie den Hofplatz überquerten.
    »Was du nicht sagst!«, rief Kalle überrascht. »Und er hat euch wirklich ins Haus gelassen?«
    »Ja, natürlich, wir sind eine ganze Weile bei ihm gewesen.«
    Als Signe Svanberg vor dem Haus erschien, kam eine ausgelassene Stimmung auf. Roffe wurde Zeuge, wie PM sie um die Hüften fasste und auf dem Hofplatz in einem wilden Tanz mehrmals herumwirbelte. Die Szene wirkte grotesk, weil Signe Svanberg eine überaus üppige und schwergewichtige Frau war, mindestens dreimal so breit wie PM.
    Danach wurde die ganze Gesellschaft in eine große, helle Küche gebeten, in der es nach frisch gebackenem Brot duftete.
    Für Roffe stand sie in befreiendem Kontrast zu der Küche, die sie eben verlassen hatten. Wohlgefällig blickte er sich um.
    Freundliche Schränke aus Kiefernholz, sauber schimmernde Bänke, farbenfrohe handgewebte Flickenteppiche auf dem Boden und Geranien in den Fenstern. Er lächelte Signe strahlend an. In ihrer Gesellschaft würde das Kaffeetrinken eine reine Freude sein.
    Nachdem sie eine Weile über Gott und die Welt geredet hatten, sagte PM: »Roffe und ich haben uns gerade über Knigarps trauriges Schicksal unterhalten, und dabei denke ich nicht nur an so bedauerliche Zwischenfälle wie die Leiche in der 245
    Jauchegrube, sondern an den allgemeinen Verfall, den wir in den letzten Jahren mit ansehen mussten.«
    »Zu Zeiten deines Onkels war Knigarp wirklich ein
    Musterhof«, sagte Signe.
    Kalle nickte zustimmend. »Ja, Anders Hammar hat das

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