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Der letzte Agent

Der letzte Agent

Titel: Der letzte Agent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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dass er bis zu achtzig Kilometer entfernt von diesem Windbruch gestorben ist, allerhöchstens. In Köln, zum Beispiel. Zum Beispiel in Bonn, in Godesberg, in Euskirchen, in Erftstadt, in Aachen, in Trier, in Koblenz.
    Meine Karten sahen schlecht aus, und ich dachte widerwillig, dass es wahrscheinlich ein Fall war, an dem ich niemals würde arbeiten können.
    Zweifellos. Wenn jemand sein Opfer geschickt verbergen wollte, brauchte er es nur so zu machen wie gehabt: Die Leiche in einen Windbruch transportieren, in dem kaum die Gefahr bestand, dass jemand in den nächsten Wochen so verrückt sein würde, durch das Geäst zu kriechen. So weit, so gut, aber setzte dieser Abtransport eines Toten nicht voraus, dass der oder die Täter diesen Windbruch genau kannten? Während ich durch die Felder rollte, kam ich zu dem Schluss, dass es vermutlich absolut reichte, die Abgeschiedenheit der Eifel einzukalkulieren. Das war wohl eher wahrscheinlich: Der oder die Täter hatten keine Verbindung in diese Landschaft.
    Sekundenlang schien mir etwas anderes noch viel wahrscheinlicher. Die trivialste Form des Gattenmordes. Sie schläft noch einmal mit ihm, um ihn gefügig zu machen, und draußen wartet ihr Geliebter, um den Tod zu bringen und den Körper des verhassten Platzhirsches in die Wälder abzutransportieren. Irgendetwas in dieser schrecklich läppischen Art, wie es sich Fernsehserien zuweilen einfallen lassen, um unsere phantasielose Wirklichkeit zu kopieren.
    Aber ein Geschoss mit Plastik, das einen Körper von innen zerfetzt, das passte nicht in diese Lindenstraßenversion.
    Ich rollte auf dem Hof aus und hatte den Wagenschlag noch nicht geöffnet, als eine mir inzwischen durchaus bekannte Stimme laut und vernehmlich wie auf dem Kasernenhof ein »Na endlich!« ertönen ließ.
    Ich fuhr herum und sagte verblüfft: »Tante Anni! Wetten?«
    »So ist es, min Jung!«
    Sie hockte auf einem Buchenstamm, hatte eine große Ledertasche und zwei Koffer vor sich stehen. Ein Ledertäschchen, das Nicht-Fachleute als Butterbrotbeutel bezeichnet hätten, schlang sich um ihren nicht unerheblichen Busen. Sie trug so etwas wie einen Friesennerz in Graubraun über weit schlackernden braunen Hosen, dazu hellbraune Schuhe Marke Wanderfreund.
    Aber das Gesicht!
    Es war ein großes, rotes, gesundes, freundliches Gesicht mit hellblauen Augen. Es war ein altes Krähengesicht unter einem sehr dekorativen Kranz grauer Haare. Es war auch ein listiges Gesicht. Es war ein Gesicht, das viel lachte, und es hatte die passenden Falten.
    »Ich bin Siggi«, sagte ich. »Wieso hast du nicht angerufen?«
    Sie schnappte die Tasche und beide Koffer und meinte: »Habe ich ja. Aber niemand hat abgehoben.«
    »So etwas kommt vor. Komm rein.«
    »Moment mal, ich kann auch in einen Gasthof gehen.«
    »Du bist verrückt«, sagte ich schlicht. »Du bist doch Familie. Also komm rein.«
    »Du wohnst hier ganz allein?«
    »Ja.«
    »Keine Frau hier?«
    »Manchmal ja, manchmal nein. Im Moment eher nicht.«
    »Dein Vater wollte eigentlich auch nie heiraten.« Sie seufzte, als wollte sie am liebsten hinzusetzen: Und dann hat er es doch getan und ist dran gestorben!
    »Du kannst im Gästezimmer wohnen. Dann kannst du unsere uralte Wehrkirche sehen und über die Vergänglichkeit der Welt nachdenken. Aber erst mal gibt es Kaffee. Halt, nein, erst mal gibt es einen Aufgesetzten aus Schlehen.«
    Sie schleppte ihr Reisegepäck in die Küche, ließ es fallen und murmelte: »So einen schönen Herd hatten wir auch zu Hause. Ja, ein Schnaps. Das tut gut.«
    Ich goss ihr einen ein.
    Sie mochte siebzig sein oder auch fünfundsechzig; vielleicht war sie neunzig. Das Alter hatte ihr anscheinend nicht viel anhaben können. Sie reichte mir bis zur Schulter, und sie war im ganzen leicht gebogen, wie ein Baum auf der Kuppe eines Berges. Ich reichte ihr das Glas und sagte Prost.
    »Trinkst du keinen?«
    »Nie Alkohol«, sagte ich. »Setz dich. Wie bist du gekommen?«
    »Geflogen. Von Berlin nach Bonn. Und dann war da so ein Kerl, der sagte, er müsse in die Eifel. Also, ich kriegte das mit. Und dann sagte ich ihm: ›Junger Mann, ich zahle Ihnen zwanzig Mark für den Sprit, wenn Sie mich zu meinem Verwandten fahren.‹ Das hat er dann auch gemacht.«
    Sie nippte an dem Aufgesetzten, horchte in sich hinein, nickte dann ausdrücklich, hielt mir das Glas hin und meinte: »Auf einem Bein kann der Mensch nicht stehen.«
    »Das ist wahr. Und wie genau sind wir jetzt verwandt?«
    »Ich habe dir das

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