Der letzte Beweis
Hilfe benötigen, um die beiden Dreißig-Kilo-Säcke Blumenerde beiseitezuräumen, die vor dem Schrank mit dem Starthilfekabel liegen. Falls der Wagen dann immer noch nicht anspringen sollte, werden wir überlegen, ob Rusty sich ein Auto mietet oder leiht.
Ich steige in mein Auto, um Nat zu Martas Haus zu fahren, aber er kommt auf meine Seite und flüstert durch das offene Fenster: »Lass ihn nicht allein, nicht jetzt.«
Ich starre ihn nur kurz an, dann reiche ich ihm den Schlüssel. Nat sitzt schon hinterm Steuer, als er sich noch einmal herausbeugt und mir zuraunt:
»Frag doch mal, ob er Frühstück will. Würdest du das tun?«
Rusty ist schon allein ins Haus gegangen, und ich folge ihm mit zwei Tüten Lebensmitteln durch die Garage. Er hat sein Handy eingestöpselt und steht am Küchenfenster, späht durch die Vorhänge.
»Reporter?«, frage ich.
»Nein, nein. Ich dachte, ich hätte nebenan Licht gesehen. Die Gregoriuses haben immer einen Wagen übrig, den keiner braucht.«
Er macht wirklich einen viel besseren Eindruck, als ich befürchtet hatte. Während des Prozesses und in den Monaten davor war er in kürzester Zeit ein völlig anderer geworden, so leer und verbraucht. Sogar der krebskranke Stern schien weniger ausgezehrt als er. Rusty war zerstört und hohl, ein Wrack. Wenn wir mit ihm zusammen waren, beobachtete ich manchmal, wie er Bekannte auf der Straße begrüßte. Er erinnerte sich noch daran, wie das ging. Er streckte im richtigen Moment die Hand aus, aber es war fast so, als hätte er Angst, Raum für sich zu beanspruchen. Ich wusste nie, ob Nat etwas davon bemerkte. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich mit seinem Vater zu arrangieren, und schien nicht zu erkennen, dass der Mann, den er gekannt hatte, größtenteils verschwunden war. Aber jetzt ist er zurück. Und das ist nicht seiner neuen Freiheit zu danken. Das weiß ich sofort. Es liegt daran, dass er bestraft wurde, einen Preis gezahlt hat.
»Nat hat gemeint, du würdest vielleicht gern frühstücken«, sage ich.
Er tritt näher und schaut in die Einkaufstüten. »Ist frisches Obst dabei? Ich hätte nie gedacht, dass ich als Erstes Heißhunger auf Erdbeeren haben würde, wenn ich aus dem Gefängnis komme.«
Nat, der die Vorlieben seiner Eltern schon immer gut kannte, hat Heidelbeeren und Erdbeeren gekauft, und ich mache mich daran, sie zu waschen und klein zu schneiden.
Während das Wasser läuft, sagt Rusty hinter mir: »Barbara wollte immer eine neue Küche haben. Aber ihr graute davor, dann die Handwerker im Haus zu haben.«
Ich schaue mich um. Er hat recht. Die Küche ist veraltet und klein. Die Kirschholzschränke sind nach wie vor schön, aber alles andere ist völlig unmodern. Dennoch, dass er Barbara erwähnt, ist seltsam. Wie so oft rührt mich die gespenstische Art an, mit der Barbara dieses Haus beherrschte, die Intensität ihrer Liebe zu ihrem Sohn und die beharrliche Tiefe ihres Unglücklichseins. Sie zählte zu den Menschen, die Mut brauchten, um überhaupt zu leben.
»Ich habe sie nicht getötet«, sagt er. Ich blicke kurz nach hinten und sehe ihn an dem Kirschholzküchentisch mit dem altmodisch welligen Rand sitzen. Er starrt mich an, wartet auf meine Reaktion.
»Ich weiß«, sage ich. »Hattest du Angst, ich würde das bezweifeln?«
Meine Antwort ist ehrlich, aber sie verschweigt die Monate, die ich brauchte, um mir dieser Schlussfolgerung wirklich sicher zu sein. Ich wollte die Beweise niemals bewerten, aber meine eigene eingebaute Software kam mir dabei in die Quere. Ich füge Indizien zusammen wie eine alte Lady, die zwanghaft aus Stoffstücken Flickendecken näht. Deshalb war ich dazu bestimmt, Juristin zu werden, das clevere Mädchen, das schon in jungen Jahren auf seine Mutter und sich selbst aufpasste, die Welt nach Zeichen durchforschte, um sie dann zusammenzusetzen. Daher konnte ich gar nicht anders, als über die beunruhigendsten Dinge nachzudenken, die mir bekannt waren - dass Rusty wenige Tage, nachdem ich ihm erzählt hatte, ich würde eine Beziehung zu Nat eingehen, bei Prima Dana war. Oder der wilde Blick, mit dem er mich an dem Tag im Dulcimer verließ, ein Mann, der in der Hitze seines eigenen Zorns verglühte. Und das Schlimmste: Ich erinnerte mich an die Empfangsbestätigungen, die darauf hindeuteten, dass Barbara meine E-Mails an Rusty gelesen hatte. An dem Abend, als Nat und ich in Nearing waren, hatte sie sich nichts anmerken lassen, aber ich stellte mir oft vor, dass es hinterher zwischen
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