Der letzte Beweis
nur noch umso mehr ein Ausgestoßener sein wird. Seit die DNS-Ergebnisse Ende Juni an die Öffentlichkeit kamen, wurde Rusty in den Medien häufig als hinterlistiger Intrigant dargestellt, der zwei Morde begangen und ein System, das er aus dem Effeff kennt, ausgenutzt hat, um mit einer lächerlich geringen Strafe davonzukommen. Jetzt werden sie ein Geheul der Entrüstung anstimmen, dass er vollends ungestraft bleibt.
Stern hat dennoch Geduld mit Nat und erklärt ihm, dass sein Vater seine Pension wieder zuerkannt bekommen wird, dass es aber um seinen Status als Richter sehr viel komplizierter bestellt ist.
»Ihr Vater wurde ja automatisch seines Amtes enthoben, als er sich schuldig bekannte, und nun, da das Urteil für ungültig erklärt wurde, wird er wieder eingesetzt werden. Aber Rusty hat in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung gestanden, die Justiz behindert zu haben, und das kann er schwerlich zurücknehmen. Ganz zu schweigen davon, was er im Laufe des Prozesses eingeräumt hat - dass er Mr Harnason unvorschriftsmäßigerweise vorab eine Entscheidung seines Gerichts mitteilte, dass er in Abwesenheit der Gegenseite überhaupt mit ihm sprach. Die Gerichtskommission käme in Schwierigkeiten, wenn sie über das alles hinwegsehen würde. Sie werden also zwangsläufig versuchen, ihn abzusetzen.
Alles in allem und natürlich nur, falls Ihr Vater einverstanden ist, fände ich es höchst zufriedenstellend, wenn wir im Austausch für den sofortigen Rücktritt Ihres Vaters vom Richteramt die Anwaltskammer dazu bewegen können, keine oder nur sehr geringe Disziplinarmaßnahmen gegen ihn zu ergreifen. Ich würde gerne sicherstellen, dass er irgendwann wieder als Anwalt tätig sein kann.« Rustys schwierige Zukunft, arbeitslos, mit nur wenigen Freunden und praktisch keinerlei Ansehen in der Öffentlichkeit, bestürzt uns alle, und einen Moment lang herrscht Schweigen im Wagen.
Wir sind fast eine Stunde zu früh in der Nähe der Strafanstalt und verbringen die Wartezeit in einer Raststätte, wo wir uns mit Kaffee wach halten und Fotos von Martas Kindern anschauen, die sie auf ihrem Handy gespeichert hat. Endlich, um Viertel vor drei, fahren wir durch den kleinen Ort zur Arbeitsfarm. Sie wurde auf einem freien Geländeteil des einzigen Frauenzuchthauses errichtet, das es im Staat gibt, und besteht aus etlichen Wellblechhütten und einem zentralen Verwaltungsbau, in dessen oberstem Stock Rusty untergebracht ist. Es ist das einzige gemauerte Gebäude, und ringsherum befinden sich Scheunen und zwei große Felder mit reifen Bananen und Maispflanzen, die jetzt im August so hoch stehen, dass sie wie anmutige Gestalten aussehen, wenn ihre Blätter sich im leichten Wind wiegen. Die Arbeitsfarm selbst ist unterste Sicherheitsstufe, doch das benachbarte Zuchthaus macht einen hohen Drahtzaun erforderlich, der oben mit Stacheldraht versehen ist, und dahinter erheben sich fast sechs Meter hohe Mauern, hinter denen alle zweihundert Meter Wachtürme aufragen.
Als weitere Maßnahme, um der Presse zu entgehen, haben Stern und der Direktor vereinbart, dass Rusty durch das Tor an der Westseite der Strafanstalt kommen soll, durch das tagsüber die Gefangenenbusse fahren. Wir halten auf der Schotterzufahrt vor dem wuchtigen Stahltor.
Um kurz vor drei hören wir Stimmen in der stillen Nacht, und dann öffnet sich umstandslos und mit lautem Quietschen einer der riesigen Torflügel ein kleines Stück. Rusty tritt in den Lichtstrahl von Martas Scheinwerfer, einen dicken Umschlag schützend vor die Augen gehoben. Er trägt denselben blauen Anzug, den er bei der Urteilsverkündung trug, aber keine Krawatte, und sein Haar ist erstaunlich lang, was mich mehr verwundert als der weißliche Bart, von dem Nat nach seinen Besuchen bereits gesprochen hat. Er ist außerdem deutlich dünner. Nat und er gehen aufeinander zu und fallen sich schließlich in die Arme. Obwohl wir anderen bestimmt zehn Meter entfernt stehen, hört man in der Stille der Nacht, dass beide Männer weinen.
Endlich lösen sie sich voneinander, wischen sich über die Augen und kommen Arm in Arm zu uns. Stern ist mithilfe seines Gehstocks ausgestiegen, und Rusty schließt beide Anwälte herzlich in die Arme, ehe er auch mich kurz drückt. In der emotionalen Aufgewühltheit des Augenblicks habe ich nicht bemerkt, dass ein zweites Auto hinter uns angehalten hat, und ich erschrecke kurz, doch dann erklärt Sandy, dass er selbst den Fotografen Felix Lugon, der früher bei der Tribune
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