Der letzte Elf
haben keine Finger, und ein Wesen von über zweitausend Pfund mit Stockschlägen zu traktieren - immer vorausgesetzt, dass er es über sich bringen sollte, Erbrow wehzutun -, konnte sich als unvereinbar mit dem eigenen Überleben erweisen, daher beschloss Yorsch, sanftere Methoden anzuwenden. Der Unterricht musste spielerisch sein.
Er legte Bohnen auf den Boden, eine auf eine Seite, zwei auf die andere, dann alle drei zusammen, und so weiter bis sechs. Vielleicht konnte er ja Sprache und Mathematik zusammen behandeln.
»BOHNE«, sagte er und zeigte auf die einzelne Bohne. Er lächelte und klatschte in die Hände. »BOH-NE, BOH-NE.«
Wieder lächeln, hüpfen und bei jedem Buchstaben in die Hände klatschen.
Erbrow hob den Kopf und sah ihn verwundert an. Verwundert, aber interessiert, es klappte!
»B-O-H-N-E«, wiederholte Yorsch. »B-O-H-N-E: eine Bohne, zwei Bohnen. Eins, zwei. Eine Bohne. Zwei Bohnen. Mehr Bohnen.« Einmal hüpfen, zweimal hüpfen, mehrmals hüpfen. In die Hände klatschen, lächeln.
Der Drache ließ ihn nicht aus den Augen. Immer verwunderter, aber immer interessierter. Es war eindeutig die richtige Methode.
»Bohne, Bohnen. Eins, zwei. Eine Bohne, zwei Bohnen. Be, o, ha, en, e: Bohne.«
Yorsch setzte ein strahlendes Lächeln auf und jubelte.
»Ist dir heute Nacht die Verwandlung zum Einfaltspinsel widerfahren, o junger Elf, oder warst du es auch zuvor schon und ich habe es nur nicht bemerkt?«, fragte der Drache höflich. »Und könnte es, bitte schön, nicht einmal etwas anderes zu essen geben als goldene Bohnen und rosa Mandarinen? Wenn ich noch mal welche zu Gesicht bekomme, könnte ich mich übergeben, und dabei ist dieser Boden ohnehin schon eine einzige widerliche Kloake.«
KAPITEL 9
I n dem unvollständigen Buch über Drachenkunde waren viele Dinge nicht aufgezeichnet. Die Kenntnisse des Jünglings über Drachen waren beschränkt, dürftig, lückenhaft und ungenügend wie welke Blätter im Winter oder wie Äpfel während einer Hungersnot. Mit der Geduld der Drachen, die groß und umfassend ist, musste man ihm alles ganz von vorne erklären.
»Durch das Ei?«, Yorsch war fassungslos.
»Durch die Eierschale«, bestätigte der Drache geduldig. Die Geduld der Drachen ist groß und weit wie die Matten und Wiesen auf den Bergen, während der Verstand des Jünglings eng und beschränkt schien wie eine Besenkammer. Der Drache wunderte sich. Er erinnerte sich an ein Buch, in dem nachdrücklich behauptet wurde, Elfen seien gewitzt und klug. »Warum sollte ein Drache denn sonst jahrelang auf seinem Ei sitzen, deiner Meinung nach?«
»Um es zu warm zu halten. Wie die Vögel«, schlug Yorsch vor.
Der Vergleich ließ den Drachen erstarren, als ob ihm ein Eisstückchen über den Rücken liefe. Die Schwanzschuppen standen ihm zu Berge. Wie die Vögel? Wie konnte er es wagen? Sein Vorfahr und dessen Vorfahr hätten eine derartige Beleidigung mit Blut gesühnt, ach was, mit Feuer. Ein bisschen Feuer und ein bisschen Rosmarin. Feuer, Salz und Rosmarin. Appetitlich sah er ja aus. Nein, völlig ausgeschlossen. Wie viel Unsinn er auch immer erzählen mag, du darfst denjenigen, der dich aus dem Ei geholt und dir das Fliegen beigebracht hat, der deinen Erzeuger während der Brut zerstreut, warm gehalten und ernährt hat, nicht rösten. Der Drache seufzte, dann fing er mit seinen Erklärungen noch einmal von vorne an, ruhig und mit leiser Stimme, wobei er wirklich das Äußerste an Geduld aufbot, die bei den Drachen bekanntlich genauso grenzenlos ist wie Schönheit, Bescheidenheit und Genialität. Er erklärte, wie die Vögel zu Recht Vögel sind, das heißt ausgestattet mit einem Spatzenhirn. Sogar der Adler, ein Spatzenhirn: stolzer Blick und ein Abgrund an Dummheit. Ein Vogel sitzt auf seinem Ei, weil er als Vogel, das heißt hoffnungslos dumm und beschränkt, kein anderes Verfahren kennt, es warm zu halten. Sie waren Drachen. Drachen, D-R-A-C-H-E-N. Ob dem jungen Elfen klar war, was dieser Begriff bedeutete, oder ob er ihn vorbuchstabieren sollte und dabei auf den Klauen herumtänzeln? Also gut; wenn das Problem nur wäre, das Ei warm zu halten, so würden sie, die sie Drachen waren, DRACHEN, die erforderliche Temperatur und die erforderliche Zeit berechnen und diese durch Verbrennung, Bündelung des Lichts, Ausnützung der Erdwärme oder auf andere Weise zustande bringen. Wenn sie auf ihrem Ei saßen, statt umherzuschweifen, das Universum zu erkunden und durch ihre bloße Gegenwart zur
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