Hier und jetzt
PROLOG
„Wir drei müssen heiraten.”
Im Freien pfiff der Wind durch die Büsche und riss welke Blätter von den Eichen. Drinnen im Haus standen drei Brüder einander schweigend gegenüber. Zwei von ihnen waren sichtlich fassungslos, der dritte wild entschlossen.
Zwischen ihnen bestand keine große Ähnlichkeit, weil sie nur Halbbrüder waren, aber alle drei besaßen ein markantes Kinn, einen kräftigen Hals und Hände mit auffallend schmalen, langen Fingern. Wer die West-Brüder kannte, wusste, dass ihr Vater ihnen auch andere, weniger erfreuliche Eigenschaften als Körperkraft und eine gewisse Anmut der Bewegungen vererbt hatte.
Luke, der mittlere der drei Brüder, lachte laut auf. „Was denn, wir drei? Ich bin sicher, dass das hier in Texas nicht erlaubt ist.”
„Stell dich nicht dümmer, als du bist”, entgegnete Michael, der jüngste Bruder, und setzte sich in einen Sessel vor dem leeren Kamin. Er hatte dunkle Augen, dunkles Haar, die Figur eines Hafenarbeiters und das Gesicht eines Gelehrten. „Sind diese Be handlungen denn so teuer, Jacob?”
Der älteste und größte der Brüder lehnte sich an den Kaminsims. Jacob West war ein schlanker Mann mit breiten Schultern und einem scharf geschnittenen, verschlossenen Gesicht. Seine Augen waren ungewöhnlich hell. „Jede Behandlung dauert acht Tage und kostet knapp hunderttausend Dollar. Die Versicherung zahlt nicht dafür, weil sich die Methode noch im Erprobungsstadium befindet.”
Michael stieß einen leisen Pfiff aus.
„Nicht mal du hast so viel Geld”, stellte Luke fest. „Lieber Himmel, als ich Ada das letzte Mal traf, wirkte sie gesund. Es ist kaum zu glauben. Wie lange weißt du es denn schon?”
„Seit vier Monaten.”
„Seit vier Monaten?” wiederholte Luke. Er war nicht so kräftig wie seine Brüder, besaß helleres Haar und verfügte über einen umwerfenden Charme. „Du hast uns vier Monate lang nichts ge sagt?” Er ging auf Jacob zu, und es sah fast so aus, als wollte er nach ihm schlagen.
Michael stand rasch auf und hielt Luke zurück. „Ganz ruhig.”
„Ich musste Ada versprechen, es niemandem zu erzählen. Ich hätte auch keine Ahnung von ihrem Zustand, hätte ich sie nicht zufällig nach einem Zusammenbruch gefunden”, erklärte Jacob. „Und ich breche mein Versprechen auch nur, weil wir etwas für sie tun können.”
„Wo ist Ada jetzt?” erkundigte sich Michael. „Im Krankenhaus?”
„Nein, in der Schweiz im Varens-Institut. Es ist auf seltene Blutkrankheiten spezialisiert.
Hier habe ich sämtliche Informationen, die ich über das Timur’s Syndrom und das Institut zusammengetragen habe.” Er reichte den beiden anderen je eine Aktenmappe.
Schweigend überflogen die zwei jüngeren Brüder den Bericht. Nach den ersten Seiten blickte Luke lächelnd hoch. „Du hast dich über ihren Arzt informiert.”
„Natürlich. Es ist immer gut zu wissen, mit wem man es zu tun hat.”
Michael legte den Bericht aus der Hand. „Ist diese Behandlung denn auch ungefährlich und hilft sie, wenn noch experimentiert wird?”
„Bisher spricht Ada auf die Beha ndlung besser an als erwartet. Die Krankheit wird zwar nicht geheilt, aber vermutlich verschwinden die Symptome fast vollständig, wenn die Behandlung immer wieder durchgeführt wird. Deshalb habe ich euch zu mir gerufen.”
„Ich habe von meinem Erbteil bishe r nur die Zinsen verbraucht”, sagte Michael. „Ich kann gern darauf verzichten.”
„Das ist ein großzügiges Angebot, aber es reicht nicht. Ada braucht für den Rest ihres Lebens zwei bis vier Behandlungen im Jahr. Die Kosten werden zwar sinken, sobald die Behandlung bei uns anerkannt wird, aber das kann noch fünf Jahre dauern, vielleicht sogar länger.”
„Dann geht es hier also um zwei bis drei Millionen Dollar in den nächsten fünf Jahren, vielleicht sogar mehr.”
„Genau.”
Erneut senkte sich Stille über den Raum, nur unterbrochen durch das ständige Klopfen der Zweige am Fenster. Es gab bloß eine Möglichkeit, Ada zu helfen - Heirat.
„Also”, fragte Luke, „wollen wir wetten, wer von uns es als Erster schafft?”
Darauf ging Michael nicht ein. „Wie lange wird es dauern, den Treuhandfonds abzuwickeln, nachdem wir die Bedingungen erfüllt haben?”
„Mindestens einen Monat”, erwiderte Jacob. „Ada braucht in drei bis sechs Monaten die nächste Behandlung. Grundsätzlich könnte ich die Kosten übernehmen, aber möglicherweise geht demnächst ein großes Geschäft den Bach runter.
Weitere Kostenlose Bücher