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Der letzte Elf

Titel: Der letzte Elf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana DeMari Silvana De Mari
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betrachtete, wie man einen Ameisenhaufen betrachtet, halb mit Angst, halb mit Abscheu.
    Robi wurde klar, dass sie noch immer in der Klemme saß. Sie stand auf und sah die drei an.
    »Wohin ist Iomir gegangen?«, zischte Cala. Sie war klein, die blonden Haare fielen ihr ins Gesicht und unterstrichen dadurch noch ihr finsteres Aussehen. Ohne die beiden Kolosse hinter sich hätte sie Robi nie angegriffen, aber mit ihnen fühlte sie sich stark.
    »Der Drache hat sie geholt, erinnerst du dich nicht?«, antwortete Robi gelassen.
    »Das ist nicht wahr«, rief Cala mit Nachdruck. »Du weißt etwas. Der Drache ist genau im richtigen Moment aufgetaucht.« Sie sah von unten zu ihr hinauf. »Bei dir zu Hause, ihr wart Freunde der Elfen«, setzte sie giftig hinzu, »warum denn nicht auch der Drachen?«
    »Gut, gehen wir und fragen Tracarna, ob das wahr ist, was sie erzählt, oder ob alles erfunden ist«, entgegnete Robi, nach wie vor seelenruhig. Sie drehte sich auch um, als wolle sie wirklich zu dem Zaun hinübergehen. Creschio und Moron sahen sie ein paar Augenblicke lang an, dann kniffen sie die Lippen zusammen, zuckten die Achseln und nach einem letzten schiefen und gehässigen Blick entfernten sie sich. Nur Cala blieb.
    »… Der Drache stieß einen Schreckensschrei aus, in seinen Klauen konnte man noch eine Hand des armen Geschöpfes erkennen...«, fuhr Tracarna unbeirrbar fort.
    »Das ist nicht wahr«, sagte Cala, noch immer empört und hasserfüllt. Tränen standen ihr in den Augen und aller Groll der Welt lag darin. Da war jemand gekommen, um Iomir, sein Kind, in die Arme zu schließen. Nie war jemand gekommen, um Cala zu holen.
    Robi sah sie lange an. Dann sagte sie etwas Abwegiges: »Früher oder später wird dich auch jemand holen kommen.« Irgendwie war ihr das ganz von selbst herausgerutscht. Sie hörte sich das sagen und erschauerte. Es war sinnlos und auch grausam, denn nichts zu haben, ist tausendmal besser, als eine Illusion zu haben und sie dann zerschellen zu sehen. Sie hatte es einfach nicht geschafft, das für sich zu behalten. Sie sah in Calas Gesichtchen, das unter der blonden, schmutzigen Mähne halb verborgen war, in ihre wütenden und verzweifelten Augen. Dann kamen ihr wieder wie von selbst die Worte von den Lippen.
    »Früher oder später holt dich jemand weg von hier«, bestätigte sie noch einmal.
    Cala erbleichte unter der Schmutzschicht auf ihrem Gesicht. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie legte die Hand auf den Mund, wie um einen Schrei zu ersticken. Oder ein Stöhnen. An der linken Hand fehlte der Daumen, der wichtigste Finger von allen. Plötzlich entstand in Robis Kopf, hinter den Augenlidern, das Bild von Calas Händchen mit allen fünf Fingern daran. Sie biss sich auf die Zunge, um es nicht zu sagen, dass diese Hand wieder normal werden konnte, denn das wäre doch wirklich zu absurd und grausam gewesen.
    »Du bist eine Hexe, stimmt’s?«, flüsterte Cala. »Ihr seid eine Hexerfamilie. Seid ihr deswegen Freunde der Elfen? Aber du... du weißt wirklich, wie die Dinge liegen, stimmt’s...? Stimmt’s?«
    Robi antwortete nicht.
    »Stramazzo triefte nur so von Blut und Schlamm, Ihr hättet ihn sehen sollen, Blut und Schlamm...«, sprach Tracarna weiter. Dann unterbrach ein erstickter Schrei ihre Erzählung. Über ihren Köpfen schwebte riesig, großartig und bedrohlich der Drache mit den smaragdgrünen Flügeln. Auf seinem Rücken erkannte man eine winzige weiße Figur. Schreckensschreie ertönten überall. Alle stoben in alle Richtungen auseinander. Uneingedenk seiner kriegerischen und heroischen Taten kurz zuvor, war Stramazzo plötzlich aus seinem geruhsamen Schnarchen aufgewacht und war unglaublich schnell beim nächsten Heuschober. Der Abgesandte aus Daligar, der die Auszeichnungen zu überbringen hatte, war zu sehr mit der eigenen Flucht in die entgegengesetzte Richtung beschäftigt, um diese Unstimmigkeit zu bemerken. Tracarna war ebenfalls im Heuschober gelandet, aber bevor sie ihn erreichte, war sie über zwei der kleineren Kinder gestolpert, und ihr staubgraues Kleid mit Silberfäden darin war von oben bis unten voller Schlamm und Stroh.
    Creschio und Moron sah man in der Ferne davonlaufen. Robi war reglos stehen geblieben, um den Drachen anzusehen. Die Andeutung eines Lächelns lag auf ihren Lippen. Nach einer letzten Runde drehte der Drache wieder in Richtung auf die Schattenberge ab, flog hoch über deren Gipfeln dahin und verschwand hinter ihnen. Seine Zufluchtsstätte war

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