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Der letzte Elf

Titel: Der letzte Elf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana DeMari Silvana De Mari
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ein Sagen war es ein Denken mit lauter Stimme.
    Cala fing an zu lachen: »Das hat Robi auch gesagt, ihr Vater hatte das zu ihr gesagt.«
    »Mhm. Wie lange brauche ich von hier nach Daligar? Eine Tagesreise zu Fuß?«
    »Wenn du zu Fuß gehst, glaube ich, ja«, antwortete Cala, »aber es gibt ein Pferd. Das letzte Mal, als Stramazzo in Daligar war, ist er auf einem Pferd zurückgekommen. Jetzt ist es unter dem Vordach auf der anderen Seite des Hauses festgebunden.«
    »Dann nehme ich das Pferd, es ist besser, ich mache schnell, bevor ihm der Rosmarin ausgeht«, sagte Yorsch mit einem letzten Blick auf den Drachen und auf die Schar ausgehungerter Kinder. »Jetzt geh du auch... na ja... dein Stück Fleisch essen.«
    »Auch wenn es gedacht hat?«
    Yorsch schluckte rasch, um den Ekel zu verscheuchen, den ihm der Geruch von gebratenem Fleisch verursachte. Er sah die eingefallenen Wangen das Mädchens, die dunklen Ringe um die Augen und die knochendürren Beine und dachte, Gänse und Hühner würden sich hier in Saft und Kraft und Muskeln verwandeln.
    »Ja«, sagte er überzeugt, »auch wenn es gedacht hat.«
    Cala lächelte ihn an und lief glücklich davon.
    Yorsch ging das Pferd holen. Es war ein herrlicher Fuchs mit nussbraunen Augen. Yorsch legte ihm die Hand auf die Stirn und eine Reihe von Empfindungen ging ihm durch den Kopf: die Sehnsucht des Fohlens nach der Mutter, der Abscheu vor Sattel und Zaumzeug, der Groll über die endlose Reise von Daligar unter dem fetten Hintern und der Peitsche dieses widerwärtigen Individuums, große Lust, nach ihm zu treten.
    »Einverstanden«, flüsterte er, »kein Sattel, kein Zaumzeug, wir Elfen brauchen das nicht.«
    Das Pferd sah ihm in die Augen und begriff: Was der Elf im Kopf hatte, war auch in seinem. Yorsch schwang sich auf seinen Rücken und das Pferd trabte sofort los. Es war, wie eins zu sein mit Kraft und Geschwindigkeit; das schönste Gefühl, das er je empfunden hatte, außer dem Fliegen auf Erbrow natürlich.
    Im trüben, nassen Morgenlicht war es leicht, sich zu orientieren. Noch vor Mittag waren die bedrohlichen Mauern von Daligar in Sicht.

KAPITEL 16
    I m Gefängnis war es viel kälter als im Waisenhaus, es war aus Stein gebaut. Außerdem fehlten die anderen Kinder, denn wenn in einem kleinen Raum viele auf einmal atmen, wärmt sich die Luft auf. Dafür war es trockener, das Stroh zum Schlafen war besser und sie bekam auch mehr zu essen. Und sie brauchte nicht zu arbeiten. Wäre da nicht das Wort »Hängen« gewesen, das immer wieder einmal auftauchte, hätte das eine Art Sommerfrische sein können.
    Robi war seit dem Vorabend hier eingeschlossen. Kurz nach ihrer Ankunft hatten eisiger Wind und heftiger Regen eingesetzt, die gar nicht mehr nachlassen wollten. Sie fragte sich, ob dieses scheußliche Wetter den Prinzen aufhalten würde oder ob er trotzdem käme. Jetzt wusste sie, dass der Prinz und der Drache keine Hirngespinste waren, sie existierten wirklich. Der Drache war enorm groß, und der Prinz war der Elf, dem ihre Eltern als Kind das Leben gerettet hatten! Der Prinz war auf der Suche nach ihr. Sie fragte sich, welche magischen Kräfte er einsetzen würde, um zu ihr zu gelangen. Vielleicht würde er die Mauern zum Einsturz bringen, indem er in ein Horn blies, oder er würde wie ein Geist durch Wände gehen, oder er würde auf dem Drachen bis hierher fliegen und mit Steinschlägen das Dach zertrümmern. Oder...
    Ihre Träume waren Wirklichkeit. Seitdem diese Bilder angefangen hatten, hinter ihren geschlossenen Lidern zu erscheinen, hatte Robi sich nach ihrem Sinn gefragt: Sie waren wohl kaum mehr als ein stilles, sinnloses und tröstliches Wahngebilde, etwas Harmloses, um ihrem zerstörten Leben, bestehend aus Kälte, Sehnsucht und Hunger, einen Halt zu geben. Jetzt allerdings wusste sie, dass das, was sie träumte, Wirklichkeit war. Nicht genau so, wie sie es geträumt hatte, aber es war wirklich. Der Prinz existierte und er hatte einen Drachen, ganz im Gegensatz zur landläufigen Theorie, dass die Drachen ausgestorben seien, und gute Prinzen auch. Der Prinz existierte und er war gut, vielleicht nicht so ganz leicht zu begreifen, aber zweifellos eine anständige Person, und ihr Papa und ihre Mama hatten ihn lieb gehabt. Die Tatsache, dass er ihrer Familie gegenüber eine Dankesschuld hatte, erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass er, auch wenn sie ihn getreten und bespuckt hatte, das, nun ja, irgendwie nicht allzu übel nehmen würde.
     
     
    Die beiden

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