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Der letzte Elf

Titel: Der letzte Elf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana DeMari Silvana De Mari
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Wachsoldaten kamen herein. Meliloto war klein und schmächtig, Palladio groß, dick und mit gerötetem Gesicht, stets auf der Suche nach einem Krug Bier. Sie waren Männer mittleren Alters, wahrscheinlich Familienväter, die Robi nicht allzu schlecht behandelt hatten, im Gegenteil, entschieden wohlwollend und bestimmt freundlicher als Tracarna und Stramazzo. Sogar ihre Puppe und das Bötchen hatten sie ihr gelassen und ihr für die Nacht eine Decke besorgt.
    Jetzt waren sie erschrocken und aufgeregt. Der Verwaltungsrichter höchstpersönlich kam zu einer Unterredung mit dem Mädchen in die Kellerverliese herunter. Das war ein absolut außergewöhnliches Ereignis, das war seit Menschengedenken nicht da gewesen. Die beiden Soldaten schossen hierhin und dorthin, in dem verzweifelten Bemühen, diesem Dreckloch nach Jahren der Verwahrlosung ein wenigstens andeutungsweise manierliches Aussehen zu verleihen. Lächerlich viel Zeit wurde auf die Erörterung verwendet, ob man Robi die Decke und ihr Spielzeug lassen oder wegnehmen sollte. Im ersten Fall wäre klar gewesen, dass man für die Häftlinge sorgte, im zweiten Fall, dass man keine übertriebene Nachsicht ihnen gegenüber walten ließ. Zum Schluss kamen sie überein, ihr alles zu lassen, allerdings mit der Auflage, die Spielsachen im finstersten Winkel der Zelle unter der Decke zu verstecken. Sie zündeten die Fackeln an, die seit Jahren schon nicht mehr gebrannt hatten. Auch dieses Unterfangen nahm übertrieben viel Zeit in Anspruch und ein beißender, eigenartig gelblicher Qualm breitete sich in den Verliesen aus.
    Die Haufen verrotteten Strohs in den Ecken und die großen Ratten, die darin herumhuschten, sahen bei Licht nicht besser aus. Die beiden versuchten, wenigstens das Stroh beiseitezuschaffen, so würden vielleicht auch die Ratten weniger werden und das Ganze würde mehr den Kellerverliesen eines Palasts mit herrschaftlichen Ansprüchen gleichen und weniger einem Saustall. Auch die Debatte darüber, wer von beiden dazu besser geeignet wäre, zog sich endlos in die Länge, und erst ganz am Schluss, als es wirklich schon spät war, bemerkten die zwei, was absolut vorrangig zu erledigen war: nämlich die leeren Tonkrüge hinauszuschaffen, die sich beim Wachposten stapelten - untrüglicher Beweis dafür, dass die Haupttätigkeit während der Wachdienste das Biertrinken war. Endlich stürzten Palladio, die Arme voller Stroh, und Meliloto, hoch beladen mit einem Stapel Krüge, zum Ausgang, und zwar just in dem Moment, als der Richter eintreten wollte, und sie stießen zusammen. Der Richter und Palladio landeten am Boden. Meliloto konnte sich auf den Beinen halten, war aber nicht geschickt genug, den Stapel Bierkrüge festzuhalten, die also auf die Liegenden fielen, und da Palladio noch rechtzeitig ausweichen konnte, bekam der Richter alles ab. In dem vorletzten Krug, der auf ihn fiel, war noch ziemlich viel Bier, und so verwandelte sich das blütenreine, zarte Elfenbeinweiß des richterlichen Gewands in das unverwechselbare trübe Biergelb und die Laune des Richters von »richtig wütend« zu »Gebt mir bitte schön noch vor dem Abendessen irgendwen zum Erwürgen«.
    Robi musste lachen. Sie wusste, dass sie das besser nicht täte, denn es war ja auch nicht wirklich komisch. Schließlich waren zwei Menschen hingefallen und hatten sich womöglich sogar verletzt, aber wenn die Anspannung zu groß ist und wenn man lange nicht geschlafen hat, dann macht man so blöde Sachen, wie unwillkürlich schrill loszukichern, wenn jemand hinfällt. Als sie sich wieder beherrschen konnte, stand der Richter vor ihr, mit den Händen hielt er die Stäbe ihrer Zelle umklammert, und jetzt war er wirklich richtig böse.
    »Das warst du, nicht wahr? Das hast du gemacht! Ich weiß es«, zischte er.
    Der Richter war groß und schlank; Schnurrbart, Bart und Haare waren silbern und wären lockig ineinander übergegangen, hätte nicht das ranzige Bier sie zu einer gelblichen, übel riechenden Matte verklebt. »Du hast sie verhext und da sind sie hingefallen, nicht wahr? Ich weiß das! Damit hast du dein einziges Ziel erreicht, mich unglaubwürdig und lächerlich zu machen, nicht wahr? Mein Amt und meine Person lächerlich zu machen. Ich weiß das.«
    Robi fragte sich, ob es sinnvoll war, zu antworten und sich zu rechtfertigen; zu sagen, dass sie nicht in der Lage war, irgendjemanden zu verhexen, dass sie es nie gewesen war und nie sein würde. Vor allem war sie ja nicht aus eigenem Antrieb zum

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