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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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bewegte sich durch seinen Kopf, ein Teil verklumpte sicherlich und wollte nicht verschwinden. Ich kann ohne sie nicht leben, mag er gedacht haben. Und: Ich muss ohne sie leben. Welch eigentümliche Kraft von allem ausgeht, was sie nicht sagt. Sie ist wie ein schwarzes Loch, ein bösartiger Magnet. Ich werde von ihm angezogen, obwohl ich weiß, dass ich mir nur wehtue. Und: Menschen sind wie Wasser, sie fließen zusammen. Natürlich bilden sich manchmal Wirbel und Wellen. Aber es ist nicht vorgesehen, dass sie auseinanderfließen. Pause. Was soll es für einen Sinn haben, dass sie auseinanderfließen? Und: Sie sagt, dass sie gerade eine Revolution erlebt, als verschöben sich Kontinente, und dass sie nicht weiß, was sie will. Dass sie noch jung ist und Raum zum Atmen braucht. Aber alles, was sie tut, wendet sie von mir ab. Mein Herz ist ein Karussell geworden. Und: Der Abend, an dem wir bei Frau Greta die Treppe hochgingen und sie ihren Finger in meine Faust schob … Es deutete doch nichts darauf hin, dass der Aufstieg enden würde, nur weil wir die oberste Treppenstufe erreichten? Und: Wer braucht denn ein abenteuerliches Herz? Ich wünschte mir, meins wäre aus Stein. Tragikós , das bin ich, mit Haaren in den Ohren und stinkendem Atem. (Möglicherweise spielte Jannis auf trágos an, was im Griechischen »Ziege« bedeutet. Anm. d. Verf.) Verdammter Mist, ich bin wieder reif für Vater Lakis’ Mülltonne. Und: Wie konnte ich nur so dämlich sein, ihr von Herrn D. zu erzählen! Und: Was habe ich hier zu suchen? Unter all diesen Heiligen und Studenten? Er hat mir das Land weggenommen. Er … Nein, ich habe nicht vor, seinen Namen auszusprechen. Damit würde ich mir nur den Mund schmutzig machen. Und: Es gibt bloß ein Wesen, für das ich leben kann, und das ist nicht Agneta. Wasser, wer zum Teufel braucht Wasser? Schwimmweste, Mücken, Zicklein. Mehr braucht kein Mensch. Und: Bin ich hier, bin ich dort? Im Moment bin ich nirgendwo. Und: Warum habe ich nie die drei Worte ausgesprochen? Hätte ihr Herz es sich dann vielleicht anders überlegt? Es muss einen Grund geben. Das darf ich nicht vergessen, es muss einen Grund dafür geben, dass ich nie die drei Worte zu ihr sagte. Und: Bin ich nur ein tönend Erz? Und: Trommelommeln? Und: Nimm mir diese chilopítes ab und gieß sie in einen anderen Topf.
    Als er eines Abends die Tür aufschloss, hörte er Agneta leise Jannoula vorsingen. Unfähig, sich zu bewegen, setzte er sich in die Küche. Seit dem letzten Wutanfall seiner Frau herrschte Funkstille zwischen ihnen. So lange der eine nichts sagte, verließ der andere nicht die Wohnung. Als das Mädchen eingeschlafen war, kam seine Frau zu ihm. Sie verknotete den Gürtel zu ihrem Mantel. »Ich denke, es wird das Beste sein, wenn ich nicht hier bleibe.«
    DAS NICHT REICHT? Das letzte Gespräch vor der Tragödie war kurz. Nach ein paar schlaflosen Nächten und einem nichtssagenden Tag in der Druckerei rief Jannis Lily Florinos an, die auf Jannoula aufpasste, und teilte ihr mit, dass er eine halbe Stunde später kommen würde. Anschließend wählte er die Nummer, die er vom ahnungslosen Vorsitzenden des Schwedischen Komitees für die Demokratie Griechenlands bekommen hatte. Als Agneta den Hörer gereicht bekommen hatte, wurden folgende Worte gewechselt:
    »Was willst du?«
    »Ich lebe … Das nicht reicht?«
    DER ZWISCHENFALL IN LUND. »Jannis, kannst du bitte mal mitkommen?« Bernt Engberg hatte den unteren Teil seiner Krawatte in die Brusttasche gestopft, die klobige Brille blitzte. Jetzt schob der Vorarbeiter die Brille mit einem Daumen hoch. Jannis zählte einen weiteren Stapel mit zusammengefalteten Papierbögen ab, warf das aufgeweichte Streichholz weg und ging hinterher.
    Mittlerweile waren neun Wochen und drei Tage vergangen, seit er zu früh nach Hause gekommen war. Sowie vier Stunden und einige Minuten. Er hätte schwören können, dass es in diesem Zeitraum nicht einen einzigen Dienstag gegeben hatte. Sein Herz war ein blauer Fleck, sein Hirn ein Friedhof. Wenn Jannoula nicht gewesen wäre, hätte er sich ins Innere seiner rußigen Nichtigkeit zurückgezogen und wäre verschwunden. Aber die Tochter brauchte ihn, und wenn weder ihre Mutter noch die Familie Florinos sich um sie kümmerte, verbrachten sie alle Zeit zusammen. Jannis wusste nicht, was seine Frau trieb, wenn das Mädchen mit flatternden Lidern neben ihm schlief oder mit ihren perfekten Fingern nach seiner Nase und seinen Haaren griff. Er nahm an, dass sie

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