Der letzte Schattenschnitzer

natürlicher als das …

D ies ist die Geschichte von Jonas Mandelbrodt und dem Ende der Welt …
    Es ist euer Vorrecht, weiterzuleben, als wäre nichts geschehen. Wie unbeschwerte Kinder, die am Rande des Abgrunds tanzen und deren Gelächter vom Grund der Tiefe widerhallt. Ich beneide euch darum. Doch ich will zumindest, dass ihr von Jonas erfahrt. Denn ohne ihn wäret ihr Schattenfraß. Hätte er sich nicht um euretwillen in das Dunkel geworfen, ihr sähet die Welt mit schwarzen Augen.
    Vieles hat sich verändert seit den Tagen, da ich das Wissen verehrte. Männer wie Galilei, Agrippa und Paracelsus entdeckten die Welt und machten sie zugänglich. Columbus, Cortez und da Gama eroberten sie. Errettet aber hat sie ein anderer …
    Wahrhaft, ihr Menschen habt euch entwickelt. Magie und Alchemie sind vergessen, und neue Wissenschaften beherrschen die Welt. Ihr seid bis auf den Mond vorgedrungen und glaubt, alles tun zu können, wenn ihr es nur wirklich wollt. Wie einst wir Schatten, so jagt auch ihr noch immer dem Leben und der Unsterblichkeit nach. Eure Methoden haben sich verändert, eure Lehrer tragen nicht länger die Namen griechischer Gelehrter, doch die Schatten, die ihr werft, sind die gleichen wie schon vor zehntausend Jahren. In eurem Blut schlummern noch immer die Affen von einst.
    Ich war lange genug euer Schatten, um eure Art zu verachten. Doch was kann der Schatten eines Affen mehr sein als ein Affe? Wir sind nicht besser als ihr. Dies lehrte mich Jonas Mandelbrodt. Dass nichts besser ist als das andere und weder Schatten noch Menschen dem Dasein ihre Gesetze diktieren sollten.
    Ich wünschte, ihr würdet euch seiner erinnern. Er, dem ihr zu verdanken habt, dass ihr noch immer Herren eurer selbst und nicht die Knechte der Schatten seid. Doch da ihr nicht die Sprache eurer Schatten sprecht, wisst ihr nichts von ihm. Und darum schrieb ich mit meinem Dunkel dieses Buch.
    Jetzt ist nicht mehr viel übrig von mir. Bald werde ich vergehen. An meiner statt bleibt einzig diese Geschichte. Das bisschen Schwarz aber, das von mir übrig ist, will ich nutzen, euch um eines zu bitten: Ehrt eure Zauberer.
    Und achtet eure Schatten. Denn tut ihr es nicht, dann werden sie euch ebenso wenig achten. Ihr habt keine Ahnung, was sie tun, wenn ihr fortschaut, wisst nicht, was in ihrem Inneren vor sich geht. Sie sind euch fremd, wie ihr es ihnen seid.
    Doch ihr habt eine neue Chance bekommen. Sie zu nutzen liegt bei euch. Denn einen wie meinen Herrn wird es nicht noch einmal geben. Unsere einzige Hoffnung liegt darin, dass es uns gelingt, in gegenseitigem Respekt miteinander zu leben. Wir müssen den anderen kennenlernen, ohne ihn beherrschen zu wollen.
    Staub seid ihr.
    Schatten sind wir.

Der Dank des Autors gebührt, abgesehen von seinem Lektor Stephan Askani, auch den charmanten Damen seiner Agentur Natalja Schmidt & Julia Abrahams sowie dem Stirnhirnhinterzimmer, einer Reihe vergessener Freunde und zuletzt den Schatten der Musen, in denen er bisweilen wandeln darf.
    Ohne sie hätte es die Schattenschnitzer nie gegeben.

Informationen zum Autor
    Christian von Aster, geboren 1973, studierte Germanistik und Kunst, um sich schließlich Bühne, Film und Schreiben zuzuwenden. Neben seinen Fantasybüchern ist er auch mit seinen Lesungen, die gleichermaßen die Gothic- wie Phantastikszene begeistern, einem großen Publikum bekannt.