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Gift

Gift

Titel: Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gordon
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1 DIE
MÜLLDEPONIE
    D ie
zweite Dezemberwoche des Jahres 1961 war
die kälteste seit fast fünfzig Jahren in der Bay Area. Es war noch früh
am Morgen, und der Nebel schob sich vom Golden Gate die ganze San
Francisco Bay hinauf bis zur Richmond-San Rafael Bridge. Durchbrochen
wurde die Stille des Morgengrauens nur von den klagenden Rufen der
Nebelhörner. Das Telefon in der dunklen Polizeistation musste mehrere
Male klingeln, um den müden Diensthabenden aus seinem Tran zu reißen.
Es war die letzte und deshalb schwierigste Stunde der Nachtschicht.
    »Richmond Police Department, Zentrale, Officer Malcolm am
Apparat.«
    Die Stimme, die aus dem Hörer kam, klang nahezu hysterisch:
»Draußen am Tor hängt ein Mann!«
    Officer Malcolm saß auf dem mittleren von drei Arbeitsplätzen
vor einem großen Funkgerät mit zahlreichen Anzeigen und zitternden
Nadeln. Die zwei anderen Stationen, die bei Notfällen oder starker
Arbeitsbelastung zusätzlich genutzt werden konnten, waren nicht besetzt.
    Malcolm war sofort hellwach und versuchte sich auf den Anruf
zu konzentrieren. Denn alles, was er jetzt zu hören bekam, konnte
später wichtig werden. Jede Einzelheit zählte. Er schaltete das
Tonbandgerät ein. »Bitte beruhigen Sie sich erst einmal«, sagte er dem
aufgelösten Anrufer. Dann nahm er mit zitternder Hand einen Block aus
der obersten Schreibtisch-Schublade und notierte Datum und Zeitpunkt
des Anrufs. Er räusperte sich.
    »Mit wem spreche ich bitte, Sir?« Er nestelte nervös am
offenen Kragen seines zerknitterten Hemds.
    Sofort kam wieder die aufgeregte Stimme aus dem Hörer. »Ich
war mit meinem Truck unterwegs zur …«
    »Moment, Moment, nennen Sie mir erst einmal Ihren Namen.«
    »Wozu brauchen Sie meinen Namen? Schicken Sie lieber
schnellstens jemanden her.«
    »Wo sind Sie?«
    »Auf der Müllkippe in Point Molate in Richmond«, stieß der
Anrufer hastig hervor und legte auf.
    »Hallo, hallo!«, rief der Polizist noch ein paarmal ins
Telefon, aber die Leitung blieb tot.
    Dann griff er nach dem Mikrophon für den Polizeifunk, um eine
Durchsage zu machen. »Achtung! Achtung! An alle Streifenwagen. Gerade
wurde von der Müllkippe in Point Molate ein möglicher 187er gemeldet.
Ich will auf der Stelle drei Streifenwagen dort haben.« Ihm fiel ein,
dass er für die Sicherheit einer Stadt mit über siebzigtausend
Einwohnern zuständig war und im Moment nur sechs Streifenwagen zur
Verfügung hatte. »Over.«
    »Hier Wagen fünf. Sind gerade in Point Richmond«, meldete sich
über Funk eine Männerstimme. »Das ist gleich um die Ecke.«
    »Hier Wagen zwölf«, kam eine weitere Stimme herein. »Wir sind
in der Innenstadt von Richmond.«
    »Wagen siebenundzwanzig, fahren auf dem Cutting Boulevard in
Richtung Westen«, stimmte eine dritte mit ein.
    Point Molate war ein unwirtlicher Felsvorsprung, der nicht
weit von der Richmond-San Rafael Bridge in die Bucht von San Francisco
hinausragte. Man erreichte ihn über eine Straße, die unmittelbar vor
der Brücke vom Cutting Boulevard abging.
    Auf Point Molate befand sich eine Deponie für Chemieabfälle.
Das massive Stahltor am Eingang stand offen und wurde von einem fünf
Meter hohen Bogen überspannt. Es war wie das Wachhäuschen daneben weiß
gestrichen. Vom Torbogen hing ein an Händen und Füßen gefesselter Mann
mit einer Schlinge um den Hals. Er war offensichtlich tot.
    Der Fahrer des ersten Streifenwagens, der am Tor der Deponie
eintraf, richtete den Suchscheinwerfer auf den Toten. »Sieht fast so
aus, als hätte der Kerl eine Waffe dabei«, sagte sein Partner. »Siehst
du diese eigenartigen Wölbungen in seinem Jackett?«
    »Die können von allem Möglichen herrühren. Ich hoffe nur, es
ist keine Bombe. Um das festzustellen, müssten wir ihn allerdings erst
von da oben runterholen, und das wiederum dürfen wir nicht, außer wir
behaupten hinterher, wir hätten versucht, ihm das Leben zu retten, was
uns wohl kaum jemand abnehmen würde.«
    Beide schüttelten ratlos den Kopf, und der Fahrer richtete den
Suchscheinwerfer vorübergehend auf den Boden, um nicht ständig den
Toten anstarren zu müssen. Das Wachhäuschen neben dem Tor war nicht
besetzt. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Die zwei Polizisten
stiegen aus, hielten sich aber vom Tor fern. Der Fahrer streckte die
Hand durch das offene Fenster des Streifenwagens und richtete den
Suchscheinwerfer wieder auf den Toten. Ein heller gelber Lichtstrahl
durchschnitt das morgendliche Dunkel.
    »Hast du schon mal so

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