Der letzte Schattenschnitzer
E hrt eure Magier. Das ist, worum ich euch bitten will. Und fragt ihr mich, warum, dann werde ich euch verraten, dass ich einen dieser Magier gekannt habe. Oh ja, ich glaube, wahrhaft von mir behaupten zu können, dass ich Jonas Mandelbrodt gekannt habe. Besser, als irgendjemand sonst ihn gekannt hat. Doch über ihn zu schreiben fällt mir nicht leicht. Zumal es das Letzte ist, was ich tun werde.
Und kaum, dass ich damit begonnen habe, spüre ich bereits, wie die Kraft aus mir herausfließt, sehe, wie sie sich vor mir auf dem Papier zu Buchstaben formt. Ich will diese Kraft zu Worten verbinden, Sätze daraus formen, mit denen ich diese Seiten fülle. Auf ihnen will ich die Geschichte Jonas Mandelbrodts erzählen, damit die Menschen ihn nicht vergessen. Ich will, dass sie von dem erfahren, was sich hinter den Dingen verbirgt und das zu erwecken es nicht mehr braucht, als mit Augen zu schauen, die gewöhnlich nach innen blicken.
Ihr werdet euch fragen, wer ich bin, dass ich mir anmaße, von solchen Dingen zu schreiben. Von jenen Dingen hinter den Dingen. Sie zu ergründen bedurfte es Generationen weiser Frauen, Zauberkundiger und Gelehrter, die sich ganz und gar, mit Geist, Herz und Verstand, in die Wirren kosmischer Geheimnisse warfen, um diesen eine Ahnung des Verstehens zu entreißen.
Nichts bin ich von alldem. Weder ein Magier noch ein Gelehrter. Niemals könnte ich selbst eintauchen in jene Strudel kosmischer Rätsel. Doch ich bin ein Teil von ihnen gewesen und aus ihnen aufgetaucht. Und darum sind sie mir weniger fremd als euch. Ich habe mehr gesehen, als eure Federn, Stifte und Tasten jemals auf Papier festhalten können. Ich sah Menschen tote Materie erwecken; sah Menschen, deren Bücher mehr bewegten als der Zorn alter Könige! Selbst solche, die Blei in Gold verwandelten, habe ich gesehen. Ihnen allen war ich bestimmt zu dienen. Und war nicht ich es, so waren es andere meiner Art. Ich sah Menschen schlafende Ungeheuer in den Herzen anderer wecken und mit ihrer Hilfe die Welt verheeren. Städte sah ich aus dem Nichts entstehen, und zu Nichts sah ich sie wieder zerfallen.
All das sah ich und will euch doch nur um eines bitten: Ehrt eure Magier! Jene, die aus Schrecken und Wundern Geschichten formen, welche ihr verstehen könnt. Diese Zauberer sind die Menschen, die euch die Sprache der Dinge – der sichtbaren wie auch der unsichtbaren – übersetzen. Sie sind es, die euer inneres Auge lenken. Und selbst, dass ich diese Worte in eurer Sprache niederzuschreiben vermag, verdanke ich einem jener Zauberer. Einem, wie es ihn nur einmal gab auf der Welt: Jonas Mandelbrodt, der mich euch verstehen lehrte.
Ich habe viele gekannt, war zahllosen zu Diensten, der einzige aber, an den ich mich erinnern will, während ich vergehe, ist er. Und darum bitte ich euch, eure Magier zu ehren.
Und während eure Geschichtsschreiber bemüht sind, die Würde eines Cäsar, die Größe eines Napoleon und die Schönheit einer Nofretete zu überliefern, glänzt all das doch bloß matt verglichen mit dem Zauber Jonas Mandelbrodts.
Vielleicht ist mein Urteil über ihn getrübt. Getrübt von all den Jahren, die ich ihm zu Füßen lag, den Jahren, die er mir ein guter Herr war, bevor er mir mein Dunkel verzieh und mir schließlich ein Freund wurde. Anfangs sah ich zu ihm auf wie zu zahllosen anderen zuvor. Doch wirklich zu ihm aufschauen tat ich erst, als ich ihm in die Augen blicken durfte …
Aber ich will keine weiteren Worte verschwenden, weiß ich doch nicht, wie viele mir noch bleiben. Gewiss wäre manches eurer Bücher ein besseres geworden, wäre die Tinte seines Autors so begrenzt gewesen wie die meine … Doch genug davon. Ich will beginnen mit meiner Geschichte, denn ich will, dass man eines weiß:
Ich habe Jonas Mandelbrodt gekannt.
1.
Who knows, what evil lurks in the hearts of men?
The shadow knows!
Intro zur Radiohörspielserie The Shadow
(1930)
A ls Jonas Mandelbrodt auf die Welt kam, stand ein satter Vollmond am Himmel. Und doch war an seiner Geburt nichts von dem, was ich bei der Geburt von Männern empfand, die als Magier in eure Geschichte eingingen. Als Simon Magus in die Welt kam, begann eine Sonnenfinsternis, die einen halben Tag andauerte und vier Könige vor Angst erzittern ließ. Ohne dass seine Mutter überhaupt von ihm gewusst hätte, entband sich Cagliostro inmitten eines Gewitters, das seine Ankunft wie mit Paukenschlägen begleitete. Houdini löste seine Nabelschnur sogar selbst, und als
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