Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
nicht?«
»Gut, aber worin besteht der nächste Schritt?«
»Der nächste Schritt hat mit der Nachricht zu tun, die Garcia beim Dinner empfing. Sie setzt einen Mitverschworenen außerhalb des Hauses voraus. Wo aber hielt sich dieser Mitverschworene auf? Ich habe Ihnen bereits bewiesen, daß er sich nur in einem großen Haus befinden konnte und daß die Zahl der großen Häuser in dieser Gegend beschränkt ist. In den ersten Tagen hier im Dorf unternahm ich eine Reihe Spaziergänge; ich erkundete die Botanik, machte mich mit allen großen Häusern bekannt und erforschte die Geschichte der in ihnen lebenden Familien. Ein Haus – wirklich nur eines – erregte meine Aufmerksamkeit. Das ist das berühmte alte jakobitische Anwesen ›High Gable‹, das eine Meile von Oxshott und weniger als eine halbe Meile vom Schauplatz der Tragödie entfernt liegt. Die anderen Häuser gehö ren prosaischen, respektablen Leuten, die ein Leben weitab jeder Romantik führen. Aber Mr. Henderson aus ›High Gable‹ ist, nach allem, was ich erfahren konnte, ein seltsamer Mann, dem seltsame Abenteuer zustoßen könnten. Ich konzentrierte deshalb meine Aufmerksamkeit auf ihn und seinen Haushalt.
Ein Kreis außergewöhnlicher Leute, Watson – und der Hausherr selber ist der Außergewöhnlichste unter ihnen. Ich richtete es so ein, daß ich ihm unter einem glaubwürdigen Vorwand begegnete, aber mir war doch, als stünde in seinen dunklen, tiefliegenden, brütenden Augen geschrieben, daß er sich durchaus klar darüber war, was ich wirklich wollte. Er ist ein Mann von fünfzig, stark, aktiv, mit eisengrauem Haar und buschigen schwarzen Brauen, mit dem Gang eines Rehs und der Gebärde eines Gebieters – ein leidenschaftlicher, herrischer Mensch, hitziger Verstand hinter einem pergamentenen Gesicht. Entweder ist er ein Ausländer, oder er hat lange in den Tropen gelebt; gelb und ausgedörrt, dabei zäh wie eine Peitschenschnur. Sein Freund und Sekretär, Mr. Lucas, ist ohne Zweifel Ausländer – schokoladenbraun, geschmeidig, katzenhaft und mit einer giftigen Sanftheit der Rede. Sie sehen, Watson, jetzt haben wir schon zwei Ansammlungen von Fremden – eine in ›Wisteria Lodge‹ und eine in ›High Gable‹ –, so beginnen die Lücken sich zu schließen.
Der Herr und sein Sekretär, enge und vertraute Freunde, sind die Wichtigsten in dem Haus. Aber da gibt es noch eine Person, die für unsere unmittelbaren Fragen weit wichtiger sein könnte. Henderson besitzt zwei Kinder – Mädchen von elf und dreizehn –, und ihre Gouvernante ist eine Miss Burnet, eine Engländerin, ungefähr vierzig Jahre alt. Außerdem gibt es einen Diener, der Vertrauen genießt. Diese kleine Gruppe stellt die eigentliche Familie dar, man reist auch gemeinsam umher, und Henderson ist sehr reiselustig, immer unterwegs. Erst vor ein paar Wochen ist er nach einjähriger Abwesenheit in das Haus zurückgekehrt. Vielleicht sollte ich hinzufügen, daß er sehr reich und in der Lage ist, sich jede Laune zu erfüllen. Ansonsten ist sein Haus voller Butler, Diener, Dienstmädchen – der übliche Troß, überfüttert und unterbeschäftigt, der zu einem großen englischen Landhaus gehört.
Das habe ich teils durch Dorfklatsch, teils aus eigener Beobachtung erfahren. Es gibt keine besseren Informationen als entlassene Diener, die sich zu beklagen haben, und glücklicherweise stieß ich auf so einen. Ich sage, glücklicherweise, aber er wäre mir nicht über den Weg gelaufen, hätte ich nicht Ausschau nach ihm gehalten. Wie Baynes so schön sagt: Wir haben alle unsere eigenen Methoden. Es ist meiner Methode zuzuschreiben, daß ich John Warner fand, ehemals Gärtner von ›High Gable‹, den sein herrschsüchtiger Herr in einem Augenblick des Zorns entlassen hat. Er aber besitzt Freunde unter der Dienerschaft, die sich mit ihm in der Angst vor dem Herrn und in der Abneigung gegen ihn einig wis sen. Und so hatte ich meinen Schlüssel zu den Geheimnissen des Hauswesens.
Seltsame Leute sind das, Watson! Ich behaupte nicht, daß ich schon alles begreife, aber es sind seltsame Leute. Es ist ein zweiflügliges Haus, die Diener wohnen im einen Flügel und die Familie im anderen. Und es besteht keine Verbindung zwischen den beiden Gruppen, es sei durch Hendersons persönlichen Diener, der auch am Familientisch serviert. Alles, was sie brauchen, wird zu einer bestimmten Tür gebracht. Das ist die einzige Verbindung. Die Gouvernante und die Kinder gehen kaum
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