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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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andermal. Sonst wird die Nacht zu lang.«

13. Kapitel
    Kinderkrankheiten
    Der Frühling schritt voran, gelegentlich mit stürmischem Wetter, das die Blütenblätter der Sträucher und Bäume wie Schnee über die Wege treiben ließ, aber auch mit zunehmend wärmeren, sonnigen Tagen. Graciella bekam tatsächlich ihre neue Garderobe, bei deren Ausgestaltung Marie-Annas Stimme gehört wurde. Und zu ihrem Geburtstag, der in diesem Jahr auf Pfingsten fiel, erhielt sie die Erlaubnis, an den Tanzstunden ihrer Freundinnen teilzunehmen. Damit entfiel für Marie-Anna die samstägliche Konversationsstunde, und sie nutzte die Zeit, da keine andere Anordnung ergangen war, um sich mit den Katalogen zu beschäftigen. Es war mühselig, die einzelnen Exponate mit den Skizzen und Beschreibungen von Faucons Liste zu vergleichen. Einige Male hatte sie gedacht, auf eines der verdächtigen Stücke gestoßen zu sein, aber es erwies sich jedes Mal als Täuschung. Anfang Juni jedoch wurde sie fündig. Und das versetzte ihr einen gelinden Schock. Ein kleines, aber mit kostbaren Edelsteinen besetztes Kreuz war ganz eindeutig in dem Verzeichnis der Schmuckstücke beschrieben. Rosemaries Hand hatte die Zeichnung angefertigt und das Datum, wie sie es gewöhnlich tat, darunter geschrieben. Zwei Monate später war das Kreuz Faucon bei einer Razzia in die Hände gefallen. Es gab also wirklich jemanden im Haus, der sich an den Schmuckstücken vergriff und sie zu unlauteren Zwecken verwendete.
    Rosemarie und Graciella wunderten sich über Marie-Annas Wortkargheit in jenen Tagen, aber von Faucon erhielt
sie eine trockene Anerkennung und die Anweisung, niemandem, aber auch wirklich niemandem im Haus von dieser Entdeckung zu berichten. Auch dem Kommerzialrat gegenüber verpflichtete er sie zum Schweigen.
    Das war leichter zu bewerkstelligen als gedacht, denn Valerian Raabe hatte sich auf eine geschäftliche Reise begeben, die ihn erst im Juli wieder nach Köln zurückführen würde. Dann aber war vorgesehen, dass der Haushalt nach Wesseling umzog, um die heißen Monate dort auf dem Gut zu verbringen, das seine Eltern bewohnten. Dieser Alterssitz wurde von einem tüchtigen Verwalter bewirtschaftet und diente der gesamten Familie als Sommerresidenz. Er lag ein wenig entfernt von der alten Römerstraße, deren Reste noch immer genutzt wurden, und war von Wald und Feldern umgeben. Graciella hatte Marie-Anna in leuchtenden Farben davon berichtet, und in solchen Momenten verlor sie all die neue Erwachsenenwürde, mit der sie seit einigen Wochen herumexperimentierte, und wurde wieder zu einem ausgelassenen Kind.
    Doch alle Planungen wurden zunichte gemacht.
    Graciella kam am ersten Samstag im Juli frühzeitig von ihrer Tanzstunde zurück und meinte bedauernd: »Irmlinds kleine Schwester hat die Masern. Wir werden wohl die nächsten Wochen nicht mehr üben können.«
    Die Nachricht löste eine gewisse Hektik im Haus aus. Berlinde bestand sofort darauf, mit Yannick und Guenevere nach Wesseling abzureisen, um sie vor der Ansteckung zu schützen. Und Madame, die nicht auf ihre Gesellschaft verzichten wollte, beschloss, sie zu begleiten.
    »Ihr werdet die eine Woche, bis der Kommerzialrat zurück ist, ohne uns fertig werden«, sagte sie zu Rosemarie. »Immerhin ist Mathilda eine tüchtige Haushälterin. Und dein Vater ist ja auch noch im Haus.«

    »Kann ich nicht mitkommen, Frau Mama?«
    »Ausgeschlossen, Graciella. Du warst in Kontakt mit den Kindern. Was, wenn du meine beiden ansteckst!«, fuhr Berlinde scharf dazwischen.
    Madame leuchtete diese Argumentation ein, und Graciella wurde auf ihr Zimmer verbannt. Am Montagmorgen reisten Berlinde, die beiden Kinder, das Kindermädchen, Madame und ihre Zofe ab.
    »Ich weiß nicht, Rosemarie. Als Mutter wäre ich sicherlich hier geblieben. Was ist, wenn Graciella sich mit den Masern infiziert hat? Sie meint, sie hat sie noch nicht gehabt.«
    »Dann darf ich Krankenpflegerin spielen, dazu sind arme Verwandte ja da.«
    »Hoffentlich kommt dein Onkel wirklich pünktlich zurück. Mir ist nicht wohl bei der Angelegenheit.«
    Marie-Annas Misstrauen war gerechtfertigt. Eine Woche später kam ein Billet des Kommerzialrates, das besagte, seine Reise verzögere sich um zehn Tage, und tags darauf erschien Graciella hustend und mit verquollenen Augen zum Frühstück.
    »Hast du dich erkältet, Graciella?«, fragte Rosemarie.
    »Wahrscheinlich. Obwohl ich gar nicht weiß, wo. Es war doch so warm die letzten Tage.«
    »Graciella, mach

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