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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Ding. Ich verstehe Madame nicht, muss ich ehrlicherweise gestehen. Es war doch abzusehen, dass das hier passiert.«
    »Hätte Madame sie besser pflegen können?«
    Mathilda sah Marie-Anna mit einem seltsamen Lächeln an.
    »Haben Sie die Kleine jemals in den letzten Tagen nach ihrer Mutter rufen hören?«
    Das hatte sie nicht getan; wenn sie Hilfe brauchte, rief sie »Anna«.
    Dann, endlich, in der siebten Nacht, fiel das Fieber ganz plötzlich. Erleichtert wischte Marie-Anna dem blassen, mageren Mädchen den Schweiß von der Stirn, wechselte die Bettwäsche und nickte dann neben ihr auf dem Stuhl ein.
    »Anna? Oh, Anna, mir tut nichts mehr weh!«
    »Nein, jetzt nicht mehr, Chérie, das Schlimmste ist vorbei.«

    Zwei Tage lang ging es aufwärts mit ihr, und Marie-Anna fand endlich wieder zu etwas geregeltem Schlaf. Dann kam die Hiobsbotschaft.
    »Marie-Anna, ich fürchte...«
    »Ja, Rosemarie, ich fürchte auch. Ins Bett mit dir. Keine Sorge, ich habe jetzt Übung darin.«
    »O Gott.«
    Als die Krankheit bei Rosemarie sich ihrem Höhepunkt näherte, traf Valerian Raabe in seinem Haus ein. Er fand Marie-Anna, in einem losen, braunen Kleid, eine fleckige Schürze umgebunden, einen unordentlichen Zopf über den Rücken baumelnd, dabei, ein Tablett in die Küche zu tragen.
    »Mademoiselle, wie wagen Sie es denn, hier zu erscheinen? In meiner Abwesenheit scheint wohl das Lotterleben eingezogen zu sein!«
    Müde, denn sie hatte seit Tagen nun wenig Schlaf bekommen, stellte Marie-Anna das Tablett ab und meinte: »Es war ein wenig schwierig in den letzten Tagen. Verzeihen Sie. Ich werde mich gleich umziehen.«
    »Darum möchte ich aber auch gebeten haben. Und wieso sind Sie nicht bei Ihrer Arbeit, sondern tragen -«, er warf einen Blick auf die Reste, die auf dem Teller lagen, »Kuchen und Puddings im Hause herum. Ja, wird denn hier alles auf den Kopf gestellt, wenn ich einmal für ein paar Wochen das Haus verlasse?«
    Seine heisere Stimme klang zischend vor Zorn.
    »Lassen Sie mich erklären, Monsieur...«
    »Nicht solange Sie in diesem Aufzug hier herumlaufen. Wir sprechen uns in exakt einer halben Stunde in der Bibliothek!«
    »Sehr wohl, Herr Kommerzialrat.«
    Sie holte tief Luft, brachte das Tablett in die Küche und lief dann in ihr Zimmer. Mit müden Bewegungen wusch sie sich ein wenig, schlüpfte in das graue Kleid, kämmte
sich, flocht ihren Zopf neu und wollte hinuntergehen. Mathilda kam jedoch aus Rosemaries Zimmer.
    »Können Sie mir bitte helfen, Mamselle, das Fräulein erbricht sich ständig.«
    »Ja, sofort. Meine Schürze...«
    Rosemarie ging es elend, elender als Graciella, deren junger Körper mit der Kinderkrankheit leichter fertig geworden war als der einer erwachsenen Frau. Marie-Anna vergaß, dass sie dem Herren des Hauses Rechenschaft abzulegen hatte, und kümmerte sich um die Freundin.
    Er kam eine Stunde später, zornig und ungehalten, die Treppe empor. Marie-Anna hörte seine Schritte und öffnete die Tür von Rosemaries Zimmer, um ihm entgegenzutreten.
    »Was geht hier eigentlich vor, verdammt noch mal? Ein Schwatz mit meiner Nichte ist Ihnen wohl wichtiger als der Termin mit mir?«
    Mathilda, die ebenfalls seine Stimme gehört hatte, kam aus dem Badezimmer, nasse Tücher in den Händen.
    »Sie täten gut daran, Mamsell Marie-Anna tiefen Dank auszusprechen, Herr Kommerzialrat. Sie hat zwei Kranke zu pflegen, und manchmal gehen diese Dinge vor. Sogar vor Ihre wichtigen Termine.«
    »Kranke?«
    Marie-Anna antwortete ihm: »Graciella und Rosemarie haben die Masern. Ciella ist aber schon wieder auf dem Weg der Besserung, Monsieur. Sie brauchen keine Sorge zu tragen, es ist ohne Komplikationen abgelaufen.«
    Er sah sie einen Moment schweigend an.
    »Ich scheine Ihnen Abbitte leisten zu müssen.«
    »Nein. Sie konnten es nicht wissen. Ciella würde sich bestimmt freuen, wenn Sie sie besuchten.«

    »Ich gehe zu ihr. Wir beide sprechen später darüber, Marie-Anna. Wann immer Sie Zeit finden.«
    Es wurde Abend, bis Marie-Anna so weit war, nach unten gehen zu können. Der Tisch war nur für zwei Personen gedeckt, Professor Klein zog es in den letzten Tagen vor, in seinem Zimmer zu speisen, statt alleine im Esszimmer aufgewartet zu bekommen.
    »Ich habe inzwischen erfahren, was vorgefallen ist, Marie-Anna. Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet.«
    »Schon gut, Monsieur.«
    Marie-Anna war so müde, sie konnte kaum noch die Gabel halten. Halb im Schlaf nahm sie einige Bissen zu sich, aber Konversation

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