Der Lilienring
Pfandleihe seines Vaters weiter.«
»Dann wissen Sie recht viel von ihm.«
»Er sprach gerne davon. Ich denke, er ist stolz auf seine militärische Vergangenheit. Den roten Rock hat er nur ungern abgelegt.« Mit einem Zwinkern fügte Marie-Anna hinzu: »Er muss prächtig darin ausgesehen haben.«
»Vermutlich. Frauen fallen auf Uniformen immer herein.«
»Sie neigen zu Verallgemeinerungen, Monsieur Faucon.«
»Sie fielen auf ihn herein, als er den Rock des Vaterlandes bereits abgelegt hatte?«
»Wollten wir einen gewissen Teil meiner Vergangenheit nicht ruhen lassen?«
»Markus Bretton ist sehr gegenwärtig. Haben Sie Ihre Beziehung zu ihm wieder aufgenommen?«
»Ich habe jegliche Bekanntschaft geleugnet und ihm
auch zu verstehen gegeben, dass sein Kontakt zu mir höchst unerwünscht ist. Er wird sich daran halten.«
»Nun gut, hoffen wir es für Sie. Man sagt ihm nach, er hasse die Franzosen. Wohl nicht die weiblichen, wie mir scheint. Haben Sie damals in seinem Auftrag die Karikaturen unseres Kaisers verfasst?«
Marie-Anna senkte den Kopf.
»Nun ja, also vergessen wir es. Wie steht es mit dem Kommerzialrat?«
»Sie meinen, ob er Teile seiner Sammlung an Aufrührer und Rebellen weitergibt? Mon Dieu, Monsieur Faucon!«
»Sie halten es für unmöglich?«
»Ehrlich gesagt, ich halte ihn für äußerst integer.«
»Ich habe den Verdacht, Sie schätzen ihn.«
»Behalten Sie Ihren Verdacht für sich.«
»Sie sind erheblich zu gefühlvoll, Mademoiselle.«
»Dann werde ich wohl besser die Stelle aufgeben und schauen, ob ich wieder im Theater unterkomme.«
»Sie bleiben. Haben Sie ein Auge auf den Professor und seine Tochter. Prüfen Sie so bald wie möglich die Kataloge. Notieren Sie für mich die Gäste, die im Haus empfangen werden. Wir sprechen uns im Mai wieder. Jeden dritten Donnerstag des Monats von jetzt an!«
Marie-Anna war einigermaßen schlecht gelaunt nach Hause gegangen. Doch sie vergaß nicht, ihre Einkäufe zu tätigen, und das munterte sie wieder ein wenig auf.
»Rosemarie, schau, was ich bekommen habe!« Marie-Anna trat in das Zimmer und öffnete ihren Korb. Blassroter Stoff lag darin, dunkelrote Seidenbänder, eine Rolle Häkelspitze. »Das wird ein hübsches Kleid werden, meinst du nicht auch?«
»Bist du sicher? Ich meine, es ist sehr rot, nicht wahr?«
»Du hast selbst behauptet, du bist die tristen Farben leid. Also. Das hier wird ein wenig Farbe in deine Wangen bringen. Morgen fange ich an, es zuzuschneiden. Anschließend können wir beide daran nähen.«
»Besonders gut bin ich nicht mit der Nadel.«
»Schon recht, die feinen Arbeiten übernehme ich.«
Am nächsten ‚Jour fixe’, den Madame stets am Dienstagnachmittag abhielt, trat Rosemarie zum ersten Mal in ihrem neuen Kleid in den Salon. Marie-Anna hatte ihr vorgeschlagen, die schwarzen Haare ein wenig vorteilhafter zu frisieren, die ihr nun in weichen Locken über die Schulter fielen. Markus Bretton zollte der Aufmachung die gebührende Achtung, Madame und ihre blasse Trabantin Berlinde jedoch maßen sie mit strenger Miene. Marie-Anna bemerkte, wie ihre Freundin sich deshalb gleich wieder in ihr Schneckenhaus zurückziehen wollte und verwickelte sie und Bretton daher in ein lebhaftes Gespräch. Das Schneckenhaus war bald vergessen, und Rosemarie blühte sichtlich auf. Doch als gegen Abend der Kommerzialrat zu der Gesellschaft hinzukam, machte er alle ihre Bemühungen zunichte.
»Ein wenig sehr auffällig, dieses Gewand, Rosemarie. Vermutlich bist du fremden Einflüsterungen erlegen.«
»Nein, Herr Onkel. Es war mein Wunsch. Aber ich werde es nicht mehr anziehen, wenn Sie es nicht wollen.«
»Sie bewundern offensichtlich junge Frauen in Mausgrau und Mausbraun, Herr Kommerzialrat. Vor allem, wenn sie dazu auch huschen und kuschen wie die Mäuse. Haben Sie eine besondere Vorliebe für diese Tierchen?«, fragte Marie-Anna, die seine Bemerkung gehört hatte.
»Lästige Nager sind sie!«
»Die Frauen oder die Mäuse?«
»Beide. Und im Übrigen: Sie tragen selbst ja auch keine roten Kleider.«
»Es wäre verheerend, zu meinen blonden Haaren. Nur Frauen mit einem so blassen Teint und so schwarzen Haaren wie Rosemarie dürfen diesen Ton tragen.« Ein sprechender Blick auf die ebenfalls in Rot gekleidete Dame des Hauses war die erste Reaktion, die Marie-Anna sich in Bezug auf die Sonderstellung von Ursula Raabe erlaubte. Gleichgültig was der Kommerzialrat für die Mitbewohner seines Haushaltes anordnete, für
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