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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sie galt es nicht. So viel hatte sie inzwischen herausgefunden. Und es gab nie einen Hinweis darauf, dass sich Valerian Raabe dieses Paradoxes bewusst war. Darum erwartete sie eine scharfe Zurechtweisung, doch sie erfolgte nicht.
    »Tragt, was ihr wollt, solange ihr keine Schmuggelware dazu verwendet«, antwortete er kurz.
    »Gilt das auch für Ihre Tochter?«
    »Was sie trägt, bestimmt ihre Mutter.«
    Rosemarie, mit flammenden Wangen, warf ein: »Sie wird erwachsen, Onkel Valerian. Oder sollte Ihnen das entgangen sein?«
    »So wird ihre Mutter für entsprechende Kleider sorgen.«
    »Ich erlaube mir einzuwenden, dass Marie-Anna einen ausgezeichneten Geschmack in modischen Dingen hat.«
    »Möglicherweise. Aber wie ich sehe, wirken die Kleider, die sie entwirft, äußerst schädigend auf das Benehmen ihrer Trägerinnen.«
    »Wünschen Sie Ihre Tochter als graue oder als braune Maus in die Gesellschaft schlüpfen zu lassen?«
    »Mademoiselle de Kerjean, Graciellas Erscheinen, wo und in welcher Art auch immer, hat nicht Ihr Anliegen zu sein.«
    »Natürlich nicht, Herr Kommerzialrat.«

    Marie-Anna senkte bescheiden den Kopf und spielte mit den Fransen ihres dunkelblauen Schals. Er ließ die beiden jungen Frauen ohne weiteren Kommentar stehen und widmete sich den anderen Gästen.
    Leise flüsterte Marie-Anna Rosemarie zu: »Ich glaube, wir können bald anfangen, für Graciella eine neue Garderobe auszusuchen.«
    »Was macht dich da so sicher?«
    »Hast du deinem Onkel schon mal in die Augen gesehen, wenn er derart rumpelige Antworten gibt?«
    »Das traue ich mich nicht.«
    »Es lohnt sich aber. Ich möchte nur mal wissen, warum Madame sich alles erlauben darf.«
    »Psst, reden wir später drüber.«
     
    Marie-Anna nahm zwei Äpfel aus dem Korb, der stets gefüllt in ihrem Zimmer stand, und klopfte leise an Rosemaries Zimmertür.
    »Komm rein, aber lass uns leise sprechen. Berlinde schleicht manchmal hier noch herum, wenn sie von Madames Räumen nach unten geht. Ich habe sie im Verdacht, an Türen zu lauschen.«
    »Den Verdacht habe ich auch. Also, was ist mit Madames Sonderstellung?«
    Sie biss herzhaft in ihren Apfel, und Rosemarie beknabberte den ihren. Dann erzählte sie: »Tante Ursula ist eine Tochter aus altem, angesehenem Geschlecht, musst du wissen, aber ihr Vater hat so ziemlich alles durchgebracht, was sie an Vermögen hatten. Ich habe das Gefühl, die Ehe zwischen ihr und Onkel Valerian ist eine geschäftliche Abmachung gewesen. Er hat als Mitgift eine Mühle übernommen. Sie soll sehr rentabel arbeiten und ihn mit dem notwendigen Kapital für seine Sammlungen versorgen, soweit ich weiß. Na ja, du siehst ja, sie haben nur eine Tochter...«

    »Rosemarie, du wirst rot.«
    »Man spricht nicht über solche Dinge...«
    »Man tut sie aber. Was willst du andeuten? Dass das Ehebett nicht gerade inniglich geteilt wird? Das ist offensichtlich.«
    »Es... Nun... ähm, es heißt, Onkel Valerian, na ja...«
    »... vergnügt sich außerhäusig? Rosemarie, das ist üblich. Sogar mein Vater, der meine Mutter herzlich geliebt hat, hatte zwei Bastardsöhne. Was also ist so dramatisch daran?«
    »Du sprichst sehr frei darüber.«
    Marie-Anna zuckte die Schultern.
    »Ich bin auf einem großen Landgut aufgewachsen, Rosemarie, nicht zwischen ehrwürdigen Altertümern. Selbst die verehrten Römer und Griechen haben sich fortgepflanzt, und wie man liest, mit großer Lust und Freude daran.«
    Rosemarie biss sich auf die Unterlippe, und Marie-Anna vermutete, ihr könnten die einen oder anderen Schriften dazu auch schon in die Hände gefallen sein.
    »Unseres Kommerzialrates Nachsicht mit den Exzessen seiner Gemahlin beruht vermutlich also auf einer stillschweigenden Vereinbarung, sich gegenseitig keine Vorhaltungen zu machen und nach außen hin den Anschein einer harmonischen Ehe aufrechtzuerhalten.«
    »So ungefähr.«
    »Und darum, Rosemarie, kann man seine strikten Anweisungen relativ leicht außer Kraft setzen. Man muss ihn nur, sehr dezent, darauf hinweisen, dass er an einer Stelle duldet, was er an anderer verbietet.«
    »Du bist couragiert genug, das zu tun. Ich könnte das nicht.«
    »Nein, du bist zu schamhaft dazu.«
    »Sag mal, Marie-Anna...«
    »Ich glaube, ich muss kalte Kompressen holen, du
glühst ja richtiggehend!«, kicherte Marie-Anna. »Willst du wissen, welche Erfahrungen ich in meinem sündigen Leben schon gesammelt habe?«
    Rosemarie nickte stumm, rot wie der Apfel in ihrer Hand.
    »Erzähle ich dir ein

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