Der Lockvogel
dankte Kesler und bat Lock, mit ihm nach draußen zu kommen. Als sie über den Rasen vor dem Haus gingen, spürte Lock, wie das Gras unter seinen Füßen federte. Zwischen den Zypressen konnte er die Landzungen und Buchten in der Ferne verschmelzen sehen, die Klippen tiefrot im Schatten. Sein frisches Hemd war bereits feucht und klebte kühl an seinem Rücken. Er und Malin gingen ein paar Stufen zu einem Swimmingpool hinunter, dessen himmelblaues Wasser endlos über die unsichtbare Beckenbegrenzung lief und mit dem beständigen, ernsten Kobaltblau des
Meeres dahinter verschmolz. Sie setzten sich an einen Tisch, außer Reichweite der Abendsonne. Lock, der Malin die Seite zuwandte und mit den Ellbogen auf den Knien immer noch auf den Pool starrte, fragte sich, ob es irgendetwas gab, das diese Szene noch friedlicher machen könnte. Er hätte gerne gewusst, ob Malin Freude daran hatte.
Malin zog ein Päckchen Zigaretten aus seiner Hemdtasche, nahm eine heraus und zündete sie an. Er sprach jetzt Russisch. »Richard, ich mache mir Sorgen wegen dieser Sache. Tourna ist ein bisschen verrückt. Ich glaube, dass Kesler recht hat – er macht das nicht, um Geld von uns zu bekommen.«
»Tourna spinnt. Wir hätten niemals …«
»Lassen Sie mich ausreden.« Malin machte eine Pause. Lock schaute vom Wasser zu ihm hinüber, unterstrich seine Bereitschaft zuzuhören. »Kesler hat mich vor zwei Tagen wegen dieser Sache angerufen. Das gab mir etwas Zeit zum Nachdenken. Ich habe ihn gebeten hierherzukommen, um das persönlich mit uns zu besprechen. Ich habe ihn gebeten, so wie ich Sie jetzt bitte, besonders sorgfältig zu verfahren, damit das hier nicht eskaliert. Ich will, dass wir herausfinden, was Tourna weiß. Und ich will alles über Tourna wissen. Das ist Ihre Aufgabe. Ich werde keinen Vergleich anstreben, weil ich nicht glaube, dass Tourna danach Ruhe gibt.« Wieder machte er eine Pause und zog tief an seiner Zigarette. »Wie sicher sind Sie, dass wir geschützt sind?«
»Sehr sicher.« Locks Herz stolperte. »Ich wüsste nicht, was eine Verbindung zu Ihnen herstellen könnte.«
»Überprüfen Sie Ihr Netzwerk auf Schwachstellen. Bald wird die andere Seite es unter die Lupe nehmen. Wenn es Schwachstellen gibt, will ich sie kennen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wo sie sein sollten.«
»Schauen Sie einfach nach. Wer von Ihren Vertrauten könnte reden, wissentlich oder unwissentlich? Genau danach werden sie suchen.«
»Verstanden.«
»Es ist immer noch möglich, dass das Ganze sich in Luft auflöst. Aber bis dahin arbeiten Sie mit Kesler zusammen. Arbeiten Sie hart.«
Lock erwiderte Malins emotionslosen Blick, so lange er konnte, dann nickte er und schaute weg.
»Richard, ich habe Sie immer gut bezahlt, damit Sie sich auf diesen Moment vorbereiten. Enttäuschen Sie mein Vertrauen nicht.«
Als sie im Dämmerlicht zum Haus zurückgingen, schalteten sich die Sicherheitsleuchten an, tauchten Haus und Bäume in grelles Licht und ließen alles dahinter im Dunkel verschwinden.
Es war kurz nach zehn, als Lock nach Monaco zurückkam. Oksana war nicht in ihrem gemeinsamen Zimmer im Metropole. Auf seine Anrufe reagierte sie nicht.
Er stellte sich unter die Dusche, ließ das Wasser sehr heiß und dann sehr kalt laufen und dachte nach. Er dachte darüber nach, warum Kesler nicht zuerst mit ihm gesprochen hatte, sondern direkt zu Malin gegangen war. Er dachte über Malins Worte an ihn nach, die halb Aufmunterung und halb Drohung gewesen waren. Und er dachte daran, was er nun tun musste und wie sehr ihm das gegen den Strich ging. Das Problem, so viel wusste er, war nicht die Art der Lüge, sondern die simple Tatsache, dass es sich um eine Lüge handelte. Wenn irgendjemand gründlich genug nachschaute
(und dieser jemand würde wirklich sehr gründlich nachschauen müssen), dann musste er entdecken, dass er, Richard Lock, der reichste ausländische Investor in ganz Russland war, der Eigentümer eines riesigen privaten Energiekonsortiums. Und er konnte keine plausible Erklärung dafür liefern, wie er dazu gekommen war.
2
Webster war der Erste im Haus, der aufwachte. Die Nacht war stickig gewesen, doch nun wehte eine kühle Brise vom Fenster her, und er zog die dünne Decke über sich. Das Licht an den Rändern der Rollos ließ erahnen, dass es wieder ein heißer Tag werden würde. Elsa schlief noch, sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Er hörte Flugzeuge; es musste nach sechs sein.
Wenn er jetzt ging, konnte er vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher