Der Mammutfriedhof
näherten.
Es war die dritte Nacht, seit die Kurnis die gefallene Stadt Nyrngor verlassen hatte. Von Anfang an hatte ein günstiger Wind das Schiff nach Norden getrieben, und es hatte gute Fahrt gemacht. Dennoch war Mythor von Tag zu Tag unruhiger geworden. Es lag ihm nicht, untätig die Zeit verrinnen zu lassen. Er war ein Mann, der nicht warten konnte, wenn wichtige Aufgaben zu erledigen waren.
Vieles lag noch vor ihm. Ein einziges Ziel hatte er bisher erreicht, sechs weitere musste er noch finden. Erst dann konnte er ein Kämpfer der Lichtwelt werden. Inzwischen aber waren die dunklen Mächte längst auf dem Vormarsch.
Nichts hatte bisher diese Mächte der Finsternis aufhalten können. Sie waren als Sieger aus jeder Schlacht hervorgegangen. Mit jeder Stadt und mit jedem neuen Gebiet, das ihnen in die Hände fiel, schien ihre Macht zu wachsen.
Zu diesen Sorgen, die Mythor das Herz schwer werden ließen, kam noch eine andere Unruhe, die ihn gefangenhielt. Etwas, das tief in seiner Seele brannte und zu dem immer wieder seine Gedanken abschweiften.
Manchmal gelang es Elivara mit ihrer Leidenschaft, ihn von seinen schweren Gedanken abzulenken. Doch all das verflog schnell wie ein Rausch und ließ die Sorgen anschließend umso größer erscheinen.
Auch in diesem Augenblick, in dem Mythor an der Reling der Kurnis lehnte und den langsam dämmernden Morgen beobachtete, wanderte seine rechte Hand langsam unter sein Lederwams. Er fühlte das Pergament mit dem Bildnis der unbekannten Schönen, das ihn nicht mehr losließ.
Seine Hand tastete über das Pergament, und obwohl er das Bild nicht sehen konnte, zogen seine Fingerspitzen sanft die zarten Linien nach, und er glaubte, das Antlitz dieser geheimnisvollen Frau spüren zu können.
Voller Sehnsucht starrte Mythor auf die Wellen. Unzählige ungelöste Fragen zogen ihm durch den Kopf. Wer mochte diese Frau sein? War sie wirklich oder nur ein Traumbild? War sie vielleicht ein Dämon? Nur geschaffen, um ihn zu quälen?
»Ist es eine Frau, die dein Herz schwer werden lässt?« fragte eine sanfte Stimme neben Mythor und ließ das Traumbild verschwinden.
Kalathee hatte Mythor gesucht und war leise an Deck erschienen. Als sie ihn schließlich entdeckt hatte, hatte sie ihn eine Zeitlang beobachtet. Sie spürte genau die tiefe Sehnsucht und Trauer, die ihn umfingen. Vielleicht, weil sie ähnliche Empfindungen verspürte wie er.
Liebevoll legte sie die Hand auf den Arm des Kriegers. Sie sah ihm in die Augen und kannte die Antwort auf ihre Frage, noch ehe Mythor etwas sagen konnte.
Schweigend standen beide dicht nebeneinander auf dem Schiff und sahen zu dem fernen dandamarischen Ufer hinüber, an dem sie seit Tagen entlangsegelten. Die Küste war immer kahler und zerklüfteter geworden, je mehr die Kurnis nach Norden vorgedrungen war. Bäume gab es dort schon längst nicht mehr, und auch kleinere Pflanzen fanden auf den kahlen Felsen kaum Halt für ihre Wurzeln. An manchen Stellen stürzten Bäche und Flüsse als gewaltige Wasserfälle über die Klippen ins Meer.
Langsam bildete sich über dem Land ein schmaler Silberstreifen. Das Licht begann das Dunkel der Nacht zu verdrängen. Der helle Streifen breitete sich aus, wurde violett und tauchte schließlich den gesamten Himmel in ein feuriges Rot.
Stumm sahen Mythor und Kalathee dem grandiosen Schauspiel zu. Beide ließen sich von ihren eigenen Sehnsüchten treiben. Ihr Schweigen wurde erst unterbrochen, als Elivara, die Königin von Nyrngor, von ihrem Lager im unteren Teil des Schiffes heraufstieg.
Sie entdeckte Mythor und Kalathee an der Reling, beobachtete sie, und ein spöttisches Lächeln spielte um ihre Lippen. Bevor sie die beiden ansprach, wandte sie sich um, und ihre Augen suchten Nottr.
Der Lorvaner stand am Heck der Kurnis und lenkte das Schiff. Auch er beobachtete Mythor und Kalathee. Doch verriet sein verschlossenes Gesicht nicht, was er dachte.
Elivara stellte sich neben den Mast des Schiffes, breitete ihre Arme aus und atmete mit geschlossenen Augen tief die frische Morgenluft ein.
»Wir haben unser Ziel erreicht«, sagte sie laut. »Urguth liegt vor uns.« Sie deutete über den Bug nach vorn auf eine dichte Nebelwand, die über dem Wasser lag und auch Teile der Küste einhüllte.
Kalathee war bei den plötzlichen Worten der Königin zusammengezuckt. Sie hatte sich so tief in ihre Gedanken und Wünsche versenkt, dass sie nichts anderes um sich herum bemerkt hatte. Jetzt warf sie Elivara einen Blick zu, in
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