Der Mann am Strand
neunundvierzig Jahre alt war und nach Ystad gereist und im König Karl abgestiegen war. Er hatte gesagt, er wolle Urlaub machen. Im Hotel hatte er weder Besuch noch Telefongespräche bekommen. Er selbst hatte auch nicht telefoniert.
Jeden Morgen war er mit dem Taxi nach Svarte gefahren, wo er seine Tage damit verbrachte, am Strand entlangzulaufen. Spät am Nachmittag war er zurückgekehrt, nachdem er bei Agnes Ehn telefoniert hatte.
Beim vierten Besuch hatte er sich in das Taxi gesetzt, in dem er gestorben war.
Wallander blieb stehen und sah sich um. Der Strand lag noch immer verlassen da. Fast die ganze Zeit ist Göran Alexandersson sichtbar, dachte er. Aber irgendwo hier am Strand verschwindet er. Dann taucht er wieder auf, und ein paar Minuten später ist er tot.
Er muß hier jemanden getroffen haben, dachte Wallander. Oder richtiger gesagt: Er muß sich mit jemandem verabredet haben. Man trifft nicht aus purem Zufall einen Giftmörder.
Wallander ging weiter. Er schaute sich die Villen an, die am Strand lagen. Am nächsten Tag würde er hier Klinken putzen gehen. Jemand muß ihn dort haben gehen sehen, vielleicht hatte jemand ihn beob-achtet, als er einen anderen Menschen traf.
Wallander entdeckte plötzlich, daß er nicht mehr allein am Strand war.
Ein älterer Mann kam ihm entgegen. Ein schwarzer Labrador lief ge-horsam an seiner Seite. Wallander blieb stehen und sah den Hund an.
In der letzten Zeit hatte er mehrfach daran gedacht, Mona vorzuschla-gen, gemeinsam einen Hund zu kaufen. Aber er hatte davon abgese-hen, weil er zu so unregelmäßigen Zeiten arbeitete. Ein Hund würde mit größter Wahrscheinlichkeit mehr schlechtes Gewissen bedeuten als Gesellschaft.
21
Der Mann tippte an sein Käppi, als er Wallander erreichte.
"Ob es wohl noch Frühling wird?" fragte er.
Wallander fiel auf, daß er kein Schonisch sprach. "Er kommt sicher auch dieses Jahr", gab Wallander zurück.
Der Mann nickte und wollte weitergehen, als Wallander ihn zurück-hielt.
"Ich nehme an, Sie gehen hier jeden Tag?" sagte Wallander.
Der Mann zeigte auf eins der Häuser. "Ich wohne hier, seit ich pensioniert bin", antwortete er.
"Ich heiße Wallander und bin Kriminalbeamter in Ystad. Sie haben nicht zufällig einen Mann um die Fünfzig gesehen, der hier in den letzten Tagen allein am Strand spazierengegangen ist?"
Die Augen des Mannes waren blau und klar. Unter dem Käppi lugte das weiße Haar hervor. "Nein", sagte er und lächelte. "Wer hätte das sein sollen? Hier geht niemand außer mir. Aber im Mai, wenn es wärmer wird, dann sieht es anders aus."
"Sind Sie ganz sicher?" fragte Wallander.
"Ich gehe dreimal täglich mit dem Hund", erwiderte der Mann. "Und ich habe hier keinen Mann allein entlanglaufen sehen. Bis jetzt. Bis Sie kamen."
Wallander nickte. "Dann will ich Sie nicht weiter stören."
Wallander ging weiter. Als er stehenblieb und zurückschaute, war der Mann mit dem Hund verschwunden.
Woher der Gedanke kam oder, genauer gesagt, das Gefühl, konnte er sich später nie klarmachen. Und doch war er von dem Augenblick an ganz sicher. Etwas war im Gesicht des alten Mannes aufgeblitzt, eine schwache, fast kaum wahrnehmbare Änderung in seinem Blick, als Wallander gefragt hatte, ob er einen Mann allein am Strand gesehen habe.
Er weiß etwas, dachte Wallander. Fragt sich nur, was.
Wallander blickte sich noch einmal um.
22
Der Strand war weiterhin leer.
Er stand einige Minuten da, ohne sich zu bewegen.
Dann kehrte er zu seinem Wagen zurück und fuhr nach Hause.
Mittwoch, der 29. April, wurde in diesem Jahr der erste Frühlingstag in Schonen. Wallander wachte wie üblich früh auf. Er war verschwitzt und wußte, daß er einen Alptraum hatte, ohne sich erinnern zu können, wovon er handelte. Vielleicht hatten ihn wieder einmal die Stiere verfolgt? Oder Mona hatte ihn verlassen? Er duschte, trank Kaffee und blätterte zerstreut Ystads Allehanda durch.
Schon um halb sieben saß er in seinem Zimmer im Polizeipräsidium.
Die Sonne schien von einem klarblauen Himmel. Wallander hoffte, daß Martinsson wieder gesund wäre, damit er Hansson die Compu-terarbeit abnehmen konnte. Er pflegte schnellere und bessere Resul-tate zu erzielen. Wenn Martinsson gesund war, könnte er Hansson mit hinaus nach Svarte nehmen, um Klinken zu putzen. Aber das wichtig-ste war es wohl im Moment, ein möglichst klares Bild von Alexandersson zu bekommen. Martinsson war entschieden gründlicher als Han-son, wenn es darum ging, Menschen zu
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