Der Mann auf dem Balkon
Beck gerichtet und noch mißbilligender als üblich.
Martin Beck zuckte die Schultern und sagte: »Ganz im Ernst…«
Gunvald Larsson unterbrach ihn abermals. »Ganz im Ernst: Ich kann nichts Lustiges bei der Sache sehen. Ich schlage mich mit den übelsten Raubüberfällen herum, mit denen ich jemals zu tun hatte, und du kommst mir mit Witzen über Hunde und was weiß ich noch alles.«
Martin Beck mußte sich Mühe geben, nicht die Beherrschung zu verlieren. Ihm war klar, daß Larsson ihn nicht reizen wollte, doch seine Geduld ging zu Ende. Und obwohl er die Situation klar erkannte, nahm er den Arm vom Aktenschrank und sagte kurz: »Jetzt reicht's mir!«
Zum Glück kam in diesem Augenblick Melander durch die Seitentür herein. Er war in Hemdsärmeln, hatte die Pfeife im Mund und ein aufgeschlagenes Telefonbuch in den Händen.
»Tag«, grüßte er.
»Tag«, erwiderte Martin Beck.
»Mir fiel der Name in dem Moment ein, als du den Hörer aufgelegt hast«, sagte Melander. »Arvid Larsson. Fand ihn auch im Telefonbuch. Aber man kann ihn nicht mehr anrufen. Er ist im April gestorben. Gehirnblutung. War bis zuletzt in der gleichen Branche. Hatte einen Altwarenladen in Söder. Der ist nun geschlossen.« Martin Beck nahm das Telefonbuch, sah hinein und nickte. Melander holte eine Streichholzschachtel aus der Hosentasche und setzte umständlich seine Pfeife in Brand. Martin Beck trat zwei Schritte vor und legte das Telefonbuch auf den Tisch neben den Korb für die Ausgänge. Dann ging er wieder zurück zum Aktenschrank.
»Woran arbeitet ihr zur Zeit?« erkundigte sich Gunvald Larsson mißtrauisch.
»An nichts Besonderem«, antwortete Melander. »Martin hatte den Namen eines Hehlers vergessen, hinter dem wir vor zwölf Jahren her waren.«
»Habt ihr ihn geschnappt?«
»Nein«, sagte Melander.
»Und nun ist dir der Name wieder eingefallen?«
»Ja.«
Gunvald Larsson zog das Telefonbuch zu sich heran, blätterte darin herum und sagte: »Wie kann man sich nur nach zwölf Jahren an den Namen eines Mannes erinnern, der Larsson heißt.«
»Das ist nicht schwer«, sagte Melander ernsthaft.
Das Telefon klingelte.
»1. Revier. Wachhabender. - Entschuldigen Sie, was ist los, meine Dame? - Wie bitte? - Ob ich Detektiv bin? Hier ist der Wachhabende des 1. Reviers, Erster Kriminalassistent Larsson. - Verzeihung, wie war der Name?«
Gunvald Larsson zog einen Kugelschreiber aus der Brusttasche und notierte den Namen. Saß dann still da mit erhobenem Kugelschreiber.
»Worum handelt es sich? - Verzeihung, ich verstehe nicht ganz… - Was bitte? - Ein Kran? - Ein Kran auf dem Balkon? - Ach so, ein Mann steht auf Ihrem Balkon.« Gunvald Larsson schob das Telefonbuch weg, zog seinen Notizblock heran und schrieb einige Worte.
»Ja, ich verstehe. Wie sieht er aus, sagen Sie? - Ja, ich höre. Schütteres, nach hinten gekämmtes Haar, kräftige Nase, ja, ja. -Weißes Hemd, mittelgroß, ja, braune Hosen. - Aufgeknöpft? Was? -Ach so, das Hemd. Blaugraue Augen. - Einen Moment, meine Dame. Wir müssen das erst klarstellen. Er steht also auf seinem eigenen Balkon?«
Gunvald Larsson sah von Melander zu Martin Beck und zuckte die Schultern. Dann lauschte er weiter in den Hörer und kratzte sich mit dem Stift im Ohr.
»Entschuldigen Sie, meine Dame. Dieser Mann da steht also auf seinem eigenen Balkon. Hat er Sie belästigt? - Also nicht. Was? -Wie können Sie erkennen, daß er blaugraue Augen hat? Das muß eine ungewöhnlich schmale Straße sein. - Was? Sie taten was? -Also einen Augenblick, meine Dame. Dieser Mann da hat nichts anderes getan, als auf seinem eigenen Balkon zu stehen. Was hat er sonst noch gemacht? - Auf die Straße hinuntergesehen? Was gibt's denn da zu sehen? - Nichts? Was sagen Sie? Autos? Kinder, die spielen? - Auch nachts? Die Kinder spielen auch nachts? - Also nicht. Aber er steht auch nachts da? Was sollen wir tun? Polizeihunde schicken? - Es gibt wirklich kein Gesetz, das den Leuten verbietet, nachts auf ihrem eigenen Balkon zu stehen, meine Dame. -Eine Beobachtung melden, sagen Sie?
Mein Gott, meine Dame, wenn alle Menschen ihre Beobachtungen melden, würden wir drei Polizisten für jeden Einwohner brauchen. - Danken? Wir sollen uns bedanken? - Wieso bin ich unverschämt? - Na, hören Sie mal, meine Dame…« Gunvald Larsson verstummte und blieb sitzen, den Hörer zehn Zentimeter vom Ohr entfernt. »Sie hat aufgelegt«, sagte er erstaunt.
Drei Sekunden später zischte er in die Muschel: »Laß dich begraben,
Weitere Kostenlose Bücher