Der Mann auf dem Balkon
Hand zu streicheln. Was sie mit der rechten machte, hatte er nicht sehen können, obwohl er ihnen so nahe stand, daß er die weißen Netzschlüpfer schimmern sah.
Er war ihnen mit lautlosen Schritten gefolgt. Hinter dem Gebüsch hatte er gestanden, weniger als zehn Meter von ihnen entfernt. Es hätte ihm Spaß gemacht, sie aufzuscheuchen, er hatte es sich sogar einen Augenblick überlegt. Andererseits hatte das Mädchen keine Handtasche bei sich, und außerdem riskierte er, daß sie loskreischen würde, und das wiederum hätte seine Arbeit erschwert. Zudem schien der Junge etwas größer und breitschultriger zu sein, als er anfangs geglaubt hatte. Und schließlich war es auch nicht sicher, daß er Geld bei sich trug. Das letzte Argument wog am schwersten, und so war er genauso lautlos verschwunden, wie er gekommen war. Er war kein Voyeur. Er hatte Wichtigeres zu tun. Außerdem würde es vermutlich nichts weiter zu sehen geben. Einige Zeit später sah er die beiden jungen Menschen den Park verlassen, nun in gebührendem Abstand voneinander. Sie hatten die Straße überquert und waren in ein Mietshaus gegangen, dessen Äußeres auf solide Bürgerlichkeit und gute Sitten hindeutete. In der Eingangstür hatte das Mädchen noch rasch den Schlüpfer und den Büstenhalter zurechtgerückt und war sich mit dem angefeuchteten Zeigefinger über die Augenbrauen gefahren. Der Junge hatte sich gekämmt.
Um halb neun hatte ein zweites Paar seine Aufmerksamkeit erregt. Ein roter Volvo, in dem zwei Männer saßen, hielt vor der Eisenwarenhandlung an der Straßenecke. Der eine war ausgestiegen und in den Park geschlendert. Er trug einen hellen Regenmantel, aber keine Kopfbedeckung. Nach einigen Minuten war auch der zweite herausgeklettert und hatte einen anderen Weg in den Park eingeschlagen. Er trug einen Tweedblazer und eine Sportmütze, aber keinen Mantel. Ungefähr nach einer Viertelstunde waren sie aus verschiedenen Richtungen und mit einigen Minuten Abstand zum Auto zurückgekommen. Der Räuber hatte sich das Schaufenster der Eisenwarenhandlung angesehen und ihnen den Rücken zugewandt. Dabei hatte er deutlich verstanden, was sie sagten.
»Nun?«
»Nichts.«
»Was machen wir nun?«
»Lill-Jannsskogen?«
»Bei diesem Wetter?«
»Sicher.«
»Gut, aber nachher gehen wir fischen.«
»Okay.«
Sie hatten die Autotüren zugeschlagen und waren davongefahren. Und nun war es gleich neun, und er saß auf der Bank und wartete.
Er sah sie sofort, als sie den Park betrat. Er wußte auch im voraus, welchen Weg sie gehen würde. Eine ordentliche Frau in mittleren Jahren, mit Mantel, Regenschirm und großer Handtasche. Sah erfolgversprechend aus. Vielleicht eine Verkäuferin aus einem Kiosk. Er stand auf und zog den Regenmantel an. Schlich über den Rasen, duckte sich hinter Büschen. Er hatte sich ihr bis auf etwa fünfzehn Meter Entfernung genähert. Mit der linken Hand zog er das Taschentuch bis unter die Augen hinauf und schob gleichzeitig die Finger der rechten Hand in den Schlagring. Jetzt war er nur noch wenige Schritte hinter ihr. Er bewegte sich schnell und fast lautlos auf dem nassen Gras.
Trotzdem mußte sie etwas gehört haben. Schon hatte er die Hand ausgestreckt, da drehte die Frau sich um, sah ihn und öffnete den Mund zum Schrei. Ohne zu überlegen, schlug er mit aller Kraft zu. Auf den Mund der Frau. Es knirschte unter dem Schlagring, sie ließ den Regenschirm fallen und sank auf die Knie. Dabei preßte sie die Tasche mit beiden Händen an sich, als hätte sie einen Säugling zu schützen.
Er schlug noch einmal zu, auf die Nase, und wieder gab es dieses knirschende Geräusch. Sie fiel hintenüber, die Beine unter sich angewinkelt. Kein Laut war zu hören. Sie blutete stark und schien kaum mehr bei Bewußtsein zu sein, trotzdem nahm er eine Handvoll Sand und streute ihn ihr in die Augen. In dem Moment, als er ihr die Handtasche aus den Händen riß, glitt ihr Kopf zur Seite, der Unterkiefer fiel herunter, und sie begann zu erbrechen.
Brieftasche, Portemonnaie, eine Armbanduhr. Nicht schlecht.
Der Verbrecher war schon auf dem Weg aus dem Park. Als hätte sie einen Säugling zu verteidigen gehabt, dachte er. Es hätte so schnell und nett erledigt werden können, ordentlich und sauber.
Blödes altes Weib.
Eine Viertelstunde später war er zu Hause. Es war Freitag, der 9. Juni 1967, 21 Uhr 30. Zwanzig Minuten später fing es an zu regnen.
6
Es regnete die ganze Nacht hindurch. Aber am Sonnabendmorgen schien wieder
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