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Der Mann, der Donnerstag war

Der Mann, der Donnerstag war

Titel: Der Mann, der Donnerstag war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Wachsdame im Gesellschaftskleide war da.
    Währenddem fiel der Schnee immer dichter. Und da Syme schon auf den ersten Blick erkannt hatte, daß diese wächserne Schöne ihm nichts abgewinnen könne – im Gegenteil – starrte er lieber auf die weiße, leere Straße hinaus. Und da mußte er sich bald sehr, sehr verwundern: denn vor dem Laden stand ganz still und starrte zum Auslagefenster herein – – ein Mann. Sein Zylinderhut so schneebeladen als wie der des lieben Weihnachtsmanns; und das weiße Flockentreiben ihm um die Schuh und Knöchel. Und es schien, als könnte ihn nichts abbringen von seiner Betrachtung dieses farblosen Wachses, das direkt toll war in seiner dreckigen Salontoilette. Ein menschlich Wesen bei solchem Wetter vor einem solchen Laden – wär an und für sich für Syme Grund genug zu höchlichster Verwunderung gewesen. Aber sofort schlug all die Verwunderung in jähes, ganz persönliches Entsetzen um. Denn der Mann, der also versunken stand, war kein anderer als der steinalte Paralytiker Professor de Worms. Das war doch schwerlich ein Platz für einen Mann von seinen Jahren und von seiner Senilität.
    Syme war im Moment darauf gefaßt: daß dieser entmenschten Bruderschaft irgendwie Perversitäten eignen konnten. Aber dann wollte er doch wieder nicht glauben, daß just der Professor irgendwie ein unsittliches Verhältnis zu dieser besonderen wächsernen Lady wünschen konnte. Und wollte darum also nur annehmen: die Krankheit dieses Mannes (was für eine sie auch sein mochte) involvierte wohl etliche momentane Starrkrampf- oder Trancefälle. Was er übrigens ohne eine Spur von Teilnahme oder Mitleiden zu konstatieren geneigt war. Im geraden Gegenteil: er gratulierte sich geradezu selber, daß diese Schlaganfälle des Professors und seine Art, nur mühsam vorwärts zu humpeln und lahm voran zu walzen – es ihm leicht machen würden, jetzt zu entspringen und den Alten meilenweit hinter sich zu lassen. Denn Syme dürstete schließlich und endlich danach, aus dieser durch und durch vergifteten Atmosphäre herauszukommen – und wärs auch nur auf eine Stunde lang. Da konnte er seine Gedanken sammeln, seine Politik festsetzen und ein für allemal entscheiden, ob er dem Gregory Treue halten sollte oder nicht.
    Er machte sich also durch das Schneegestöber heimlich davon. Zwei oder drei Straßen hinüber. Und dann zwei oder drei hinab. Und trat ein in ein kleines Soho-Lunchrestaurant. Genoß nachdenklich vier kleine feine Gerichte, trank eine halbe Flasche Rotwein und genehmigte schwarzen Kaffee und eine schwarze Zigarre (immerfort grübelnd) als Beschluß. Er hatte im oberen Raum des Restaurants Platz genommen, das nur so sang von Messern auf Porzellan und Geplauder von fremden Menschen. Und da fiel ihm ein, daß er in vergangenen Tagen geträumt hatte: all diese harmlosen und kindischen Unbekannten seien .. Anarchisten. Und ihn schauderte, da er des wahren Sachverhalts gedachte. Aber selbst dieser Schauder trug nur vermehrend bei zu all seiner schamhaften Wonne des Freiseins, des Entronnenseins. Der Wein, das gesunde Essen, das Anheimelnde des Raums, die Gesichter all dieser sich natürlich gebenden, drauflos schwätzenden Menschen – es war ihm schier als war der Ring der sieben Tage ein böser Traum gewesen. Und obgleich er wußte: es war dennoch Wirklichkeit gewesen – wußte er wenigstens auch: er war nun eine Strecke weit von alldem weg. Hohe Häuser und bevölkerte Straßen lagen zwischen ihm und dem letzten Anblick der schändlichen Sieben. Und frei war er im freien London. Und Wein trank er unter den Freien ... Viel, viel leichter kams ihn jetzund an, seinen Hut und seinen Stock zu nehmen und die Treppe da hinabzusteigen in die Parterreräumlichkeiten ...
    Wie er zu ebener Erde kam, blieb er starr und wie angewurzelt auf einem Fleck stehen. An einem kleinen Tisch saß am blanken Fenster und gegen das Schneelicht der Straße der alte anarchistische Professor bei einem Glas Milch. Mit seinem wie über den Schädel hochgezogenen leichenfarbenen Gesicht und überhängenden Augenlidern. Einen Augenblick lang stand Syme so krampfhaft steif als wie der Stock, auf den er sich stützte. Dann, mit einer Geste blinder Eile, stürzte er am Professor vorüber – riß die Tür auf – warf sie wild hinter sich zu – und stand heraußen im Schnee.
    »Ist der steinalte Leichnam fähig, mir zu folgen?« fragte er bei sich selber und biß an seinem gelben Bart. »Ich hielt mich zu lang da drinnen auf

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