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Der Mann, der Donnerstag war

Der Mann, der Donnerstag war

Titel: Der Mann, der Donnerstag war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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ist?«
    »Durchaus«, sprach Syme. »Aber ohne Komik keine Tragödie. Was kann Ihnen der Höllenmensch weiter anhaben? Ich wünschte nur, daß Ihre neue Sprache einen größeren Spielraum hätte. Ich dachte schon, ob wir sie nicht von den Fingern – bis zu den Zehen erweitern könnten? Das würde dann zur unmittelbaren Folge haben, daß wir während der Konversation unsere Stiefel und Socken auspellen müßten, was immerhin einen hohen Grad von Unzudringlichkeit und Bescheidenheit – –«
    »Syme«, versetzte sein Freund grausam, »gehen Sie schlafen!«
    Syme aber saß im Bett noch eine beträchtliche Weile auf – den neuen Kodex ochsend ... Den nächsten Morgen erwachte er, da den Osten noch die Dunkelheit versiegelte – und sein graubärtiger Alliierter stand wie ein Geist an seinem Bett ...
    Syme saß auf. Und blinzelte. Dann sammelte er bedächtig seine Gedanken; schlug das Bettzeug auseinander und sprang heraus. Und irgendwie wurde ihm so kurios zumute, als hätte er mit dem Bettzeug all die Sicherheit und Geselligkeit der Nacht von sich geworfen – und als stände er nun da in frierender eisiger Gefahr. Wohl, wohl, er fühlte noch ungeteiltes Vertrauen und Loyalität zu seinem Gefährten; aber es war das Vertrauen, das zwischen zwei Menschen ist, die zusammen aufs Schafott müssen.
    »Professor«, sprach Syme mit einer gekünstelten Munterkeit, während er in seine Hosen stieg, »mir träumte von Ihrem Alphabet. Haben Sie lang dazu gebraucht, bis Sie's zusammenkriegten?«
    Der Professor gab keine Antwort. Sondern starrte nur mit Augen von der Farbe einer winterlichen See. Also wiederholte Syme seine Frage.
    »Ich fragte, ob Sie lang dazu gebraucht haben, bis Sie all das herauskriegten? Ich weiß gut, was das heißt – das nimmt gut Stunden in Anspruch. Haben Sie's auf der Stelle intus gehabt?«
    Der Professor schwieg. Seine Augen waren weit geöffnet. Und er lachte ein starres, aber fast unmerkliches Lächeln.
    »Wie lang haben Sie dazu gebraucht?«
    Der Professor rührte sich nicht.
    »Hol Sie der Teufel – können Sie denn nicht antworten?« schrie Syme da in plötzlicher heller Wut, darein sich aber nicht wenig Angst mischte. Ob der Professor antworten konnte oder nicht – er antwortete nun einmal nicht.
    Syme stand da und starrte nun seinerseits das starre Gesicht an, das wie Pergament war, und diese blanken blauen Augen. Sein erster Gedanke war: der Professor wär verrückt geworden. Aber sein zweiter Gedanke war dann um so grauenvoller. Was wußte er eigentlich von diesem fragwürdigen Geschöpf, das er – unbesonnen genug – als Freund akzeptiert hatte? Was wußte er mehr von ihm, als daß er dem Anarchisten-Frühstück beigewohnt und ihm dann eine ganz und gar lächerliche Geschichte angehängt hatte? Wie unwahrscheinlich, daß neben Gogol noch ein zweiter Gesinnungsgenosse da war! War dieses Mannes Schweigen nicht eine sensationelle Art und Weise, den Krieg zu erklären? War dieser steinharte Blick nicht der Höllenblick eines dreifachen Verräters, der nun endlich sein wahres Gesicht zeigt? Syme stand da und horchte und horchte in dieses erbarmungslose Schweigen. Ihm war, als hörte er die Dynamithelden, die ihn gefangen nehmen sollten, schon – auf den Zehenspitzen – den Korridor draußen nah und näher kommen.
    Dann blickte er am Professor herab – – und brach in lautes Lachen aus. Obgleich der so stumm wie eine Statue stand, tanzten doch seine fünf stummen Finger eben auf dem toten Tisch. Syme beobachtete die zuzwinkernden Gesten der sprechenden Hand und las mühelos und klar die Botschaft:
    »Ich antworte nur auf diesem Wege. Wir müssen alle Uebung drin bekommen.«
    Und Syme platzte – in Fiebern des Erlöstseins – mit dieser Entgegnung heraus:
    »Sehr einverstanden. Gehen wir frühstücken.«
    Und sie nahmen schweigend ihre Hüte und Stöcke. Aber wie Syme seinen Schwertstock ergriff, ergriff er ihn fest ...
    Die nächsten paar Minuten taten sie nichts, als in einer Kaffeebude sich mit Kaffee anfüllen und rohen schweren Sandwiches – alsdann nahmen sie ihren Weg über den Fluß, der in dem grauen und zunehmenden Licht gar sehr acherontisch aussah. Kamen an den Fluß des ungeheuren Häuserblocks, den sie schon von überm Fluß drüben gesehen hatten und fingen dann an, schweigend die nackten und zahllosen Steinstufen hinaufzusteigen, und hielten nur hie und da inne, um ein paar kurze Bemerkungen auf dem Treppenabsatz zu machen. Mit jeder neuen Treppe kamen sie an

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