Wellsaga Band 1 (German Edition)
Der letzte Passagier
Draußen breitete sich langsam die Dunkelheit über dem Flughafen aus. Die Lichter der Gebäude spiegelten sich auf der nassen Rollbahn. Hin und wieder prallte ein Regentropfen gegen das ovale Fenster des Flugzeugs. Katjas Blicke streiften durch die anbrechende Nacht oder das, was davon durch das regentropfenübersäte Fenster zu sehen war.
„ Hier spricht Ihr Kapitän. Unser Abflug wird sich leider um wenige Minuten verzögern. Wir warten noch auf einen Fluggast. Danke für Ihr Verständnis“, hallte es aus den Lautsprechern.
Ein Raunen ging durch das Flugzeug. Es war fast voll besetzt. Der Platz neben Katja war noch frei. Alle Passagiere schienen in Richtung Eingang zu starren, als ein Mann im feinen Anzug seelenruhig das Flugzeug betrat. Er lächelte in die Großraumkabine, böse Blicke kamen zurück.
Der verspätete Mitreisende ging durch den engen Gang, die Sitznummern im Blick, und blieb neben Katja stehen. Er warf nochmal einen kurzen Blick nach oben zu den Sitznummern und sprach dann Katja freundlich an: „Gestatten Sie, das dort ist mein Platz.“
Katja entschuldigte sich, dass sie auf dem falschen Platz saß, und bat darum, am Fenster sitzen bleiben zu können. Der Mann hatte nichts dagegen am Gang zu sitzen und sagte ruhig und entspannt, als ob er unter Freunden sei: „Ist kein Problem, bleiben Sie sitzen, ich nehme den anderen Platz.“
Dann öffnete er die Gepäckablage und versuchte seine Tasche noch in das volle Fach zu drücken. Eine Flugbegleiterin, alarmiert von den sich nach vorn schiebenden Gepäckstücken, kam schnell auf den Mann zu: „Kann ich Ihnen helfen?“, und ohne auf Antwort zu warten, schob sie das Gepäck zurück, griff die Tasche des Mannes und platzierte sie gekonnt in der Ablage.
Nachdem die Flugbegleiterin gegangen war, setzte sich der letzte Passagier neben Katja und schloss den Sicherheitsgurt mit einem kurzen Klick.
Die Fluggäste waren nun vollzählig und das Flugzeug startete.
Katja mochte es, wenn das Flugzeug schneller wurde und immer weiter beschleunigte, bis es abhob. Das war das Schönste am Fliegen. Katja war schon oft geflogen, aber sie konnte nicht genug von dem Moment bekommen, an dem sie den Boden hinter sich ließ und langsam in den Himmel eintauchte. Die Welt wurde kleiner, und die Entfernung zu ihr ließ die Dinge in einem neuen Licht erscheinen. Sie sah sich und das Erlebte mit mehr Abstand. Die Ereignisse in ihr konnten zur Ruhe kommen, um zu Erfahrungen zu werden.
~ ~ ~
„ Kann ich das Board-Magazin haben?“, fragte Katja und zeigte auf die Sitztasche ihres Nachbarn.
„ Ja natürlich“, sagte der Mann, nahm das Heft aus der Sitztasche vor sich und reichte es ihr.
Katja griff nach dem Magazin. In diesem Moment ging ein heftiger Stoß durch das Flugzeug, sodass Katja daneben fasste. Das Magazin fiel auf den Boden, und mit ihm stürzte das ganze Flugzeug nach unten.
Auch Katjas Sitznachbar spürte den Fall. Sein Magen stieg nach oben. Er hatte schon hin und wieder erlebt, wie ein Flugzeug in ein Luftloch fiel, doch so schlimm war es noch nie gewesen. Der Fall wollte nicht aufhören. Er schaute hinüber zu Katja und sah die Todesangst in ihrem Gesicht. Aus einem Impuls heraus griff er ihre Hand. Katja fasste fest zu, als wollte sie sich an seiner Hand festhalten.
Ein weiterer Ruck ging durch das Flugzeug, die Düsen heulten laut auf und die Maschine zog steil nach oben, sodass die Passagiere fest gegen die Rückenlehnen gepresst wurden. Der Kapitän meldete sich über die Lautsprecher. Er versuchte, besonders routiniert und sorglos zu klingen. Obwohl Katja genau hinhörte, konnte sie die Worte des Kapitäns nicht in sich aufnehmen. Zu sehr stand sie unter Schock. Sie ließ die Hand ihres Sitznachbarn los und drehte sich zu ihm: „Was hat der Kapitän gesagt? Ich habe es nicht verstanden. Ist alles wieder in Ordnung?“
„ Ja. Der Kapitän sagte, dass es nur eine Turbulenz war. Das Flugzeug wurde nicht beschädigt. Wir sollen aber zur Sicherheit weiterhin angeschnallt bleiben.“
„ Oh gut ... zum Glück“, sagte Katja erleichtert.
„ Sie sehen sehr blass aus. Wie geht es Ihnen?“
„ Geht schon. Es ist nur ... Ich dachte, es ist zu Ende.“
„ Das dachte ich auch. Ich habe schon einige Turbulenzen erlebt, aber so etwas noch nie.“
„ Hoffentlich kommen wir heil an.“
„ Ich glaube schon. Wir haben es überstanden.“
Katja sah aus dem Fenster. Unten waren vereinzelt kleine Lichter auszumachen, die
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