Der Mann, der ins KZ einbrach
Übelkeit erregenden Gestank der verwesenden Leichen. Auschwitz III war mit nichts auf der Welt zu vergleichen; es war die Hölle. Ich war hierhergekommen, um es mit eigenen Augen zu sehen, und die Erfahrung war grauenhaft und Furcht einflößend.
Im Unterschied zu den ausgezehrten Menschen, zwischen denen ich lag, war ich freiwillig hier. Ich hatte geplant und getüftelt, verhandelt und bestochen, um mich in dieses Lager einzuschleichen, und genauso, wie ich hineingekommen war, würde ich es wieder verlassen. Nicht in die Freiheit – noch nicht –, aber ich würde an einen Ort gehen, wo ich es sehr viel besser hatte.
Ich würde diese Menschen ihrem Schicksal überlassen, und Hans musste wieder in diese grauenhafte Baracke. Er würde wieder die gleichen gequälten Laute hören, die seinen Kopf füllten. Er würde versuchen, über alledem zu schwimmen, doch als ich dort lag – ein eins achtzig großer Mann auf einer zu kurzen Pritsche, die Knie gegen den ausgemergelten Körper eines Fremden gedrückt –, begriff ich, dass auch für Hans unausweichlich das Ende kommen würde. Ich fiel in einen unruhigen Schlaf, während ich dem heiseren Gemurmel eines Mannes lauschte, von dem ich wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte.
Ich erwachte mit dem Gefühl völliger Vereinsamung. Der Kapo stürmte durch die Baracke und trat gegen die Holzpritschen. Er brüllte Befehle, dass es vom rauen Betonboden widerhallte. Das Licht flammte auf. Es musste gegen vier Uhr morgens sein.
Ich hörte, wie ein Mann geprügelt wurde, weil er sich zu langsam bewegte. Alle, die zu schwach waren, um zu stehen, alle, deren Zustand sich in der Nacht verschlechtert hatte oder die sich in der Dunkelheit aufgegeben hatten, wurden auf die Seite gestoßen. Ich konnte mir denken, was mit ihnen geschah.
Das Frühstück bestand aus seltsam schmeckendem Schwarzbrot, mit etwas bestrichen, das ich für ranzige Margarine hielt. Wir gingen zwischen Tischen hindurch, von denen wir ein Stück Brot nahmen, ohne stehen zu bleiben. Zurückgehen konnte man nicht. Ich hielt den Kopf gesenkt, nahm das Brot und ging weiter. Ich hatte Hunger, aber ich bekam es trotzdem nicht hinunter.
Ich dachte an die Wagenräder aus Weißbrot, die wir im Kriegsgefangenenlager erhalten hatten, und an die Eier, an die wir durch Tausch oder Handel herankamen. Selbst in unserem Lager träumte ich ständig vom Essen, aber es war nicht annähernd mit dem Leben in Monowitz zu vergleichen, in keiner Hinsicht. Die »Ernährung« hier führte in den sicheren Tod. Die Frage war nur, wie schnell.
Ich dachte bereits voraus und bereitete mich auf mein nächstes Vorhaben vor. Schließlich würde ich wieder hier herauskommen. Wir schlurften zum Appellplatz, wo wir wiederholt durchgezählt wurden. Als das vorüber war, mussten wir unter den Augen der SS -Wärter zum Tor marschieren. Wieder hielt ich mich aufrecht. Sie musterten uns genau und zerrten jeden, der zum Arbeiten zu schwach wirkte, aus der Reihe. Sobald wir das Tor hinter uns hatten, bogen wir nach rechts auf den Weg zu der Straße, die zu den Buna-Werken führte. Ich verspürte einen ersten Anflug von Erleichterung. Zwar musste ich noch den erneuten Wechsel mit Hans hinter mich bringen, doch selbst mit knurrendem Magen begrüßte ich auf einmal den langen Tag, der vor mir lag. Ich war aus dem schrecklichen Lager heraus und freute mich darauf, bald wieder englische Stimmen zu hören und meine Uniform zurückzubekommen.
Wir marschierten zur Baustelle, und nach einer Weile sah ich meine britischen Kameraden. Ich hoffte, dass Hans irgendwo unter ihnen war. In seinen Lumpen war es für mich nun viel schwieriger, mich auf der Baustelle zu bewegen, während er in meiner Uniform den Schutz der Genfer Konvention genoss. Sobald die Kolonne eingetroffen war, gab es eine kurze Verzögerung, ehe die Anweisungen für den Tag ausgegeben wurden, und ich nutzte die Gelegenheit, zur »Bude« zu gehen und mich darin zu verstecken, wie wir es verabredet hatten. Ich hatte Hans gesagt, er solle auf mich achten. Als er sah, wohin ich ging, folgte er mir rasch. Hätte sich bei einer der Kolonnen das Abzählen zu sehr verzögert, wären wir in Schwierigkeiten geraten. So aber konnte unser Austausch noch vor Arbeitsbeginn vonstatten gehen. Ich hatte nur so und so weit vorplanen können; alles andere musste man aus dem Augenblick heraus entscheiden. Ich verstand mich gut auf so etwas. Trotzdem gehörte eine Menge Glück dazu.
Hans war aufgeregt,
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