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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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konnte. Das Lager war Auschwitz-Monowitz, Auschwitz III .
    Der Abend kam langsam, und irgendwo weit über uns war ein klarer Himmel. Ich spürte ihn und wusste, dass er da war, aber richtig bewusst wurde ich mir seiner damals nicht. Während der ganzen Zeit, die ich an diesem gottverlassenen Ort als Gefangener verbrachte, sah ich kein einziges Mal den blauen Himmel. Ich schaute gar nicht hoch. Genauso, wie ich mich geweigert hatte, die Briefe meiner Mutter zu lesen, solange ich in der Wüste war, wäre hier ein Blick auf die Schönheit des blauen Himmels eine gefährliche Ablenkung gewesen. Ich wäre in meiner Entschlossenheit schwankend geworden, weil der Anblick mich an die Großartigkeit der Schöpfung und die Süße der Freiheit erinnert hätte.
    Irgendwo wurde ein Befehl gebrüllt, und wir rissen uns die Mützen von den Köpfen. Ich stellte mich aufrecht hin wie die anderen und versuchte, eine feste Miene aufzusetzen. Ich wusste, worum es ging: Wir mussten die SS -Leute nun überzeugen, dass wir noch einen Tag länger arbeiten konnten.
    Dann zogen sie auch schon den ersten Häftling aus der Reihe. Ich hörte kein Betteln, kein Flehen, keinen Protest. Dazu war der Mann zu schwach. Ich hatte damals den Eindruck, dass einige von ihnen so schrecklich erniedrigt worden waren, dass sie ihr nahendes Ende willkommen hießen. Ich habe nicht gesehen, was mit dem Mann geschah, aber ich wusste, dass man ihn auf einem Lastwagen nach Birkenau fahren würde, wo er über kurz oder lang in der Gaskammer starb.
    Nachdem wir die Tore durchschritten hatten, prägte ich mir die Anlage des Lagers mit seinen baufälligen Baracken ein.
    Der Wind trieb den süßlichen, widerlichen Geruch der Krematorien über das Gelände. Er setzte sich in meiner Nase und im Rachen fest – ein ekelerregender Gestank, der sich mit den Gerüchen von Schmutz und Schweiß, Krankheit und Verwesung mischte.
    Als wir tiefer ins Lager kamen, sah ich einen Mann mit kahl geschorenem Schädel an einem Galgen hängen. Sein Genick war gebrochen und sein Hals verdreht, sodass der Kopf zu einer Seite gedrückt wurde. Ich weiß nicht mehr, ob seine Hände gefesselt waren. Und falls ihm ein Schild um den Hals hing, auf dem stand, wofür er bestraft worden war, habe ich es nicht wahrgenommen.
    Ich war an den Anblick von Leichen gewöhnt, aber die Qualen vor Eintritt des Todes zeigen sich besonders bei den Körpern von Gehenkten. Die Leiche des Mannes wurde als Warnung an alle dort hängen gelassen. »Passt auf!«, schrie der Tote stumm in die Welt hinaus. Es erschütterte mich. Die Nazis hatten uns alle bei der Kehle, ob wir nun hingen oder nicht. Sie konnten die Schlinge zuziehen, wann immer es ihnen gefiel.
    Die Leichenträger waren nun wieder in Bewegung. Erschöpfung lag auf ihren hohlwangigen Gesichtern, und sie beugten den Rücken für eine letzte Anstrengung. Sie brachten die ausgezehrten sterblichen Überreste zur Seite und kippten sie in die Erde. Einer nach dem anderen rutschten die Toten zu Boden und machten dabei kaum ein Geräusch. Dann richteten die Träger sich auf und stellten sich wieder zu uns. Anschließend wurden die Leichen noch einmal durchgezählt.
    Ich hatte nicht die Absicht, eine Flucht zu versuchen; dazu war ich nicht hier. Trotzdem sah ich mir aus Gewohnheit meine Umgebung an, prägte sie mir ein und hielt Ausschau nach Fluchtmöglichkeiten, die ich aber niemals benutzen konnte. Flucht war zwecklos. War man erst im KZ , gab es kein Entrinnen. Sollte ich als Hochstapler erkannt werden, war ich ein toter Mann. Ein Ausweichplan existierte nicht.
    Der Appellplatz lag leicht erhöht. Als unsere zerlumpte Kolonne sich dorthin schleppte und an Markierungen auf dem Boden ausrichtete, fiel mir etwas Merkwürdiges auf.
    Irgendwo jenseits des Appellplatzes spielte das Lagerorchester klassische Musik. Die Klänge vermischten sich mit den gebrüllten Befehlen, dem Schlurfen und Husten.

13. Kapitel
     
     
    A ls ich mitten in der Kolonne auf dem Appellplatz stand, wusste ich, dass es außer den armen Teufeln neben mir keine Zeugen geben würde, falls ich aufflog. Wie viele von ihnen würden in drei Monaten noch am Leben sein? Nicht viele. Die SS -Leute würden mich abführen oder erschießen, während das Orchester die Szene auf absurde Weise untermalte. Ich hörte später, dass die Musiker – ebenfalls Häftlinge – gezwungen wurden, bei Hinrichtungen zu spielen.
    Ich hielt den Kopf gesenkt, aber dank meiner Größe konnte ich den SS -Wärtern ins

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