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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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einnebeln und den Maschinen eine Punktbombardierung der Buna-Werke unmöglich machen. Bei der Höhe, aus der die Amerikaner ihre Bomben abwarfen, konnte von Zielgenauigkeit sowieso keine Rede sein.
    Ich hörte das beängstigende Dröhnen der Bomber über uns. Sie schienen von Süden anzufliegen. Ich rollte mich in den Graben und vernahm das Pfeifen der fallenden Bomben. Das Wissen, dass sie von unseren Leuten geworfen wurden, bot nur wenig Trost. Im Graben stand Wasser, und schon bald waren meine Stiefel durchnässt. Ich drückte das Gesicht in die Erde der Böschung und bedeckte den Kopf mit den Armen. Eine entsetzliche Explosion donnerte nur ungefähr vierzig Meter entfernt. Ich spürte die Druckwellen im Gesicht. Sie waren aus Richtung des Luftschutzbunkers gekommen. Weitere Einschläge folgten und näherten sich der Baustelle. Es dauerte ungefähr eine Viertelstunde, bis der Luftangriff endete, sodass ich nachschauen konnte, welche Schäden angerichtet worden waren.
    Ich rannte zum Bunker und entdeckte einen Haufen Schutt und Beton in ungefähr fünf Metern Tiefe, wo die Eingangsrampe gewesen war. Überall lagen Leichen und Körperteile. Die Stelle, wo die Männer gestanden hatten, war voll getroffen worden. Die Jungs im Bunker hatten überlebt und verließen ihn durch einen anderen Eingang. Einige Verletzte saßen da, aber die meisten von denen, die an der Bunkertür gestanden hatten, waren zerrissen worden, und ihre Leichen lagen unter den Trümmern begraben.
    »Ist hier ein Bergmann?«, rief jemand. Ein Gefangener hatte sich darangemacht, die Trümmer beiseitezuräumen, konnte aber wenig ausrichten. Er stand unter Schock und war viel zu zaghaft. Ich schickte ihn aus der Grube nach oben, übernahm seinen Platz und machte mich an die Arbeit. Jeder Betonbrocken musste vorsichtig bewegt werden, damit die größeren Stücke nicht nachrutschten und mögliche Überlebende erdrückten.
    Ich rief nach Seilen, und nach einiger Zeit wurden welche gebracht. Ich band ein Ende um eine der großen Betonplatten nach der anderen, und die Jungs am Rand des Trichters hievten die Platten jedes Mal hoch, sodass ich darunterschauen konnte. Auf diese Weise bargen wir einen zerschmetterten Leichnam nach dem anderen. Einigen fehlten Gliedmaßen, andere waren zerrissen oder von Trümmern erschlagen worden.
    Ein großer Betonklotz behinderte die Grabung. Er musste fortgeschafft werden. Wenn jemand darunterlag und noch lebte, mussten wir rasch zu ihm vordringen. Ich konnte das Trümmerstück ein wenig schaukeln, aber es bewegte sich nur in eine Richtung. Deshalb musste der Klotz über den Kopf eines toten Soldaten gerollt werden, der unter den Trümmern lag. Mir war klar, dass es getan werden musste, falls darunter noch jemand lebte, aber das hielt einen der Jungs nicht davon ab, mich zur Rede zu stellen. »Der arme Kerl ist tot«, argumentierte ich. »Was würdest du denn tun?« Schließlich sah er ein, dass es keine andere Möglichkeit gab. Ich atmete tief durch und begann zu schieben. Endlich bekam ich den Leichnam heraus. Die Überreste wurden aus dem Bombenkrater gehoben und zu den anderen gelegt. Dann machte ich mich wieder ans Graben.
    Wir trugen die Trümmer ab und drangen weiter zum Bunkereingang vor, aber die Hoffnung, Überlebende zu finden, schwand immer mehr. Dann aber hörten wir ein ersticktes Geräusch, und ich begriff, dass in den Trümmern tatsächlich noch jemand lebte. Ich räumte Betonbrocken weg und schuf ein Loch, das groß genug zum Hineinkriechen war. Als ich den Mann erreichte, war er halb bei Bewusstsein. Ich fragte ihn, welcher Teil seines Körpers eingeklemmt sei. Er konnte nicht antworten. Ich rief nach Wasser, kehrte mit einer kleinen Schüssel zu ihm zurück und spritzte ihm das Wasser ins Gesicht. Endlich kam er zu sich. Er war wütend und fluchte und machte mir das Leben schwer, aber am Ende bekamen wir ihn heraus. Ein dreibeiniger Holzschemel hatte ihn gerettet. Trümmerstücke waren darauf liegen geblieben und hatten eine Höhlung geschaffen, in der er geschützt gewesen war.
    Über der Erde hatten die Jungs sich derweil um die Verletzten gekümmert. Inzwischen lagen mehr als dreißig Tote am Kraterrand. Wir fügten die Leichen zusammen, soweit es möglich war, und sie wurden in Decken eingenäht. Es war eine schauerliche Arbeit. Diese Toten waren unsere Freunde gewesen.
    Um uns her starben Tag und Nacht unschuldige Menschen, aber es war etwas ganz anderes, wenn die eigenen Kameraden ums Leben kamen.

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