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Der Mann, der kein Mörder war

Der Mann, der kein Mörder war

Titel: Der Mann, der kein Mörder war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Rosenfeldt
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geöffnet hatte, würde er sich nicht so schnell wieder verschließen. Er wollte erzählen. Geheimnisse waren eine schwere Last. In Kombination mit Schuld konnten sie einen Menschen zerstören. Sebastian war sich sicher, dass der Junge bereits Erleichterung verspürte. Er glaubte, ihm die physische Veränderung anzusehen. Die Schultern waren noch weiter nach unten gesunken, die Zähne nicht mehr so stark zusammengepresst. Auch der Rücken, der zuvor kerzengerade gewesen war, schien entspannter.
    Also wartete Sebastian weiter ab.
    Beinahe schien es, als hätte Johan vergessen, dass jemand mit im Zimmer saß, doch plötzlich begann er erneut zu reden. Als würde in seinem Kopf gerade ein Film ablaufen, und er berichtete, was er sah.
    «Er rief hier zu Hause an. Mama ging ran, Papa war noch im Büro. Ich begriff, dass sie sich wieder treffen wollten. Mama wollte angeblich einen Spaziergang machen.» Den letzten Satz stieß Johan verächtlich aus. «Ich wusste, wo sie hingingen und was sie taten.»
    Die Worte kamen jetzt schneller, sein Blick war noch immer auf den Punkt in der Ferne gerichtet, zu dem nur Johan Zugang hatte. Als wäre er dort, als …
    Er wartet am Fußballplatz, versteckt sich am Waldrand. Er weiß, wo sie ihn normalerweise absetzt. Das hat ihm Roger einmal erzählt, bevor er wusste, dass Johan
es
wusste. Jetzt sieht er, wie sich der S
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der Schule dem Parkplatz nähert. Er hält an, doch niemand steigt aus. Er mag nicht einmal daran denken, womit sie dort drinnen vielleicht gerade beschäftigt sind. Er hat sich hingesetzt, mit dem Fuß berührt er das Gewehr, das er von zu Hause mitgenommen hat und das nun vor ihm auf dem Boden liegt. Nach einiger Zeit sieht er, wie die Innenbeleuchtung des Wagens angeht und jemand aussteigt. Es ist Roger. Johan meint zu hören, dass er etwas ruft, kann aber nicht verstehen, was. Roger geht mit schnellen Schritten über den Platz, er kommt auf ihn zu. Johan steht auf und nimmt das Gewehr. Roger läuft gerade auf den Weg zu, der ihn nach Hause führt, als Johan ihn ruft. Roger hält inne. Späht in den Wald. Johan tritt hervor, er sieht, wie Roger den Kopf schüttelt, als er ihn erblickt. Nicht erfreut. Nicht überrascht. Nicht angsterfüllt. Lediglich so, als stelle Johan ein Problem dar, das er in diesem Moment auf keinen Fall gebrauchen kann. Johan geht einige Schritte auf ihn zu. Es sieht aus, als hätte Roger geweint. Ob er das Gewehr sieht, das neben Johans rechtem Bein baumelt? Falls ja, lässt er es sich nicht anmerken. Er fragt, was Johan von ihm will. Johan erklärt es ihm genau. Er will, dass Roger nie mehr zu ihm nach Hause kommt. Er will, dass Roger sich so weit wie irgend möglich von Johan und seiner Familie fernhält. Er hebt die Waffe, um seinen Worten Gewicht zu verleihen. Aber Roger reagiert überhaupt nicht so, wie Johan es sich gedacht oder erhofft hat. Er schreit.
    Dass sowieso alles scheiße sei.
    Dass alles, ja sein gesamtes Leben, sinnlos wäre.
    Dass Johan ein verdammter Idiot sei.
    Dass er ihm gerade noch gefehlt habe.
    Er weint. Dann geht er. Weg von Johan. Aber das darf er nicht. Nicht jetzt. Nicht so. Er hat nicht versprochen, dass sich etwas ändern wird. Er hat nicht versprochen, es zu beenden. Nichts hat er versprochen. Es scheint, als hätte Roger nicht verstanden, wie ernst es Johan ist, wie wichtig. Er muss Roger dazu bringen, es zu begreifen. Doch dazu muss er ihn erst einmal stoppen. Johan legt die Waffe an. Ruft Roger zu, er solle stehen bleiben. Sieht ihn weiterlaufen. Ruft erneut. Roger zeigt ihm über die Schulter hinweg den Mittelfinger.
    Johan drückt ab.
    «Ich wollte doch nur, dass er mir zuhört.» Johan blickte Sebastian an. Seine Wangen glänzten feucht, seine Energie war aufgebraucht. Die Hände hatten keine Ausdauer und keinen Willen mehr, die Waffe zu halten, die vor ihn auf den Fußboden glitt. «Ich wollte doch nur, dass er zuhört.»
    Johans Körper wurde von tiefen Schluchzern erschüttert, als würde er einen Krampf erleiden. Er krümmte sich zusammen, seine Stirn lag auf den Beinen. Langsam kroch Sebastian auf dem Boden zu dem bebenden Häufchen Elend. Vorsichtig nahm er das Gewehr und räumte es beiseite.
    Dann legte er den Arm um Johan und gab ihm das Einzige, was er in diesem Moment zu geben in der Lage war.
    Zeit und Nähe.

V anja stand nervös und ungeduldig im Flur. Seit Sebastian die Treppe hochgestiegen war, war nun schon eine halbe Stunde vergangen. Sie hatte ihn durch die verschlossene Tür mit Johan

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