Der Mann, der seine Frau vergaß
elf sein, sie gehen nämlich beide aufs Gymnasium. Wenn auch nicht auf deine Schule.«
»Was soll das heißen, ›meine Schule‹?«
»Na, die Schule, an der du unterrichtest.«
»Dann bin ich also Lehrer? Aber eins nach dem anderen. Genau deshalb wollte ich streng chronologisch vorgehen. Erzähl mir erst mal von meinen Kindern«, sagte ich und stellte mir vor, wie ich in Barett und Talar vor einer altmodischen Tafel stand – ein bizarres Bild.
»Na ja, sie sind eben Kinder. Niedlich. Jamie ist übrigens mein Patenkind. Oder doch Dillie? Ich hab’s vergessen, aber eins von beiden ist jedenfalls mein Patenkind. Sie sind wirklich prächtig geraten. Du kannst stolz auf sie sein.«
Leider konnte ich das nicht. Ich bemühte mich nach Kräften, stolz auf sie zu sein, doch sie waren nichts weiter als eine nackte historische Tatsache.
»Ist hier noch frei?«, fragte eine mit Plastiktüten beladene Frau und sank, ohne eine Antwort abzuwarten, auf einen der beiden unbesetzten Stühle an unserem Tisch. »Hier drüben, Meg! Ich habe noch zwei Plätze ergattert!«
Ich war der Vater zweier Fremder. So ähnlich wie der Kapitän eines Schiffes, der in einem Hafen fern der Heimat unwissentlich ein Kind gezeugt hatte. Nur dass mich diese Kinder kannten; hoffentlich liebten sie mich auch.
»Bringst du eine Speisekarte mit?«, rief die Dame ihrer Begleitung zu, vermutlich ihre Tochter. »Ich kann die Tafel ohne Brille nicht lesen, und auf dem Tisch liegt keine Karte.« Das Gesicht dieser Frau hatte sich mir sofort eingeprägt, doch ich hatte keine Ahnung, wie meine eigenen Kinder aussahen.
»Und wie sind sie so?«
»Hä?«
»Meine Kinder. Wie sind sie so?«
Die Frau versuchte vergeblich, den Anschein zu erwecken, dass sie unser Gespräch nicht interessierte.
»Also, Jamie sieht genauso aus wie du, die arme Sau. Er redet nicht viel, aber das ist in dem Alter wahrscheinlich normal.«
Ich nickte, doch innerlich zuckte ich die Achseln. Ich war nicht nur Vater, sondern auch Lehrer und hatte doch keinerlei Erfahrung mit Kindern.
»Er ist inzwischen ziemlich groß und ziemlich hip, interessiert sich für Musik. Eine Freundin hat er, glaube ich, nicht, aber vielleicht hält er sie auch bloß geheim.«
»Und was ist mit meiner Tochter – Dillie? Heißt sie wirklich so, oder ist das ein Kosename?«
»Ich glaube nicht – du nennst sie jedenfalls immer nur Dillie.«
»Vielleicht heißt sie Dilys«, sagte die Frau an unserem Tisch.
»Wie bitte?«
»Ihre Tochter. Dillie könnte eine Kurzform von Dilys sein. Oder Dillwyn. Ein walisischer Name, wenn mich nicht alles täuscht. Sie sind doch Waliser, oder?«
»Keine Ahnung. Bin ich Waliser?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Aber möglich wär’s.«
»Danke. Sehr hilfreich.«
Dass ich Vater war, machte die Sache nur noch schlimmer. Jetzt betraf mein Nervenzusammenbruch nicht mehr nur mich, sondern eine ganze Familie.
»Sonst noch was?«, fragte mich Gary, obwohl die Frau wahrscheinlich dachte, er hätte uns beide angesprochen.
»Äh, schon gut«, murmelte ich, »das hat Zeit.«
»Sie waren im Gefängnis, nicht?«, erkundigte die Frau sich gänzlich ungeniert.
»Äh, so was Ähnliches«, sagte ich und lächelte gequält.
»Mord«, setzte Gary hinzu, in der Hoffnung, sie damit abschrecken zu können, doch so leicht ließ sie sich nicht beirren.
»Mein Mann hat uns sitzen lassen, als Meg zwei war. Wir haben nie wieder von ihm gehört. Er würde sie nicht erkennen, wenn sie ihm auf der Straße entgegenkäme.«
»Soso …«
»Äh, was kann ich dir sonst noch erzählen?«, sagte Gary. »Die Tories sind wieder am Ruder. Und jeder hat ein Handy und einen PC , und Woolworth ist pleite, und äh, Elton John hat sich geoutet; das war natürlich ein ziemlicher Schock …«
»Ja, ja, das weiß ich alles. Das Einzige, was ich vergessen habe, ist mein Leben . Ich kann dir sagen, welche Mannschaften in den Achtzigern und Neunzigern den FA Cup gewonnen haben; ich kenne sämtliche Weihnachtshits der letzten dreißig Jahre. Ich kann mich nur an nichts Persönliches erinnern.«
»Ha! Typisch Mann«, sagte die Frau und seufzte.
Danach unterhielten wir uns mit gedämpfter Stimme, als würde Gary geheime Informationen an mich weitergeben. Jetzt, wo wir die Idee, mein Leben chronologisch abzuhaken, verworfen hatten, platzte ich mit der Frage heraus, die mich beschäftigte, seit mein Gehirn die Reset-Taste gedrückt hatte.
»Also, Gary, ich bin Vater zweier Kinder«, flüsterte ich.
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