Der Mann, der seine Frau vergaß
als hätte jemand meine Identität gestohlen und an meiner Stelle Geschichte unterrichtet, auf Tagungen Vorträge gehalten und meine Frau gegen sich aufgebracht.
Draußen wurde es schon hell, als ich mich endlich überwinden konnte, den Computer auszuschalten. Den folgenden Vormittag verbrachte ich damit, den versäumten Schlaf nachzuholen und Bernard zu ignorieren, der pausenlos auf mich einflüsterte: »Vaughan! Vaughan! Da dein Gedächtnis nicht richtig funktioniert, hast du vermutlich vergessen, wie unhöflich es ist, den Vorhang den ganzen Vormittag geschlossen zu halten.« Wie sich herausstellte, waren dies die letzten Stunden meines Krankenhausaufenthalts.
Plötzlich wurde der Vorhang um mein Bett beiseitegezogen, und da stand Gary mit einer elegant gekleideten Blondine im Schlepptau, die jünger aussah als wir.
»Ta da!«, stieß Gary hervor. »Vaughan, darf ich vorstellen? Die Liebste!«
Die Frau neben ihm bedachte mich mit einem nervösen Lächeln und machte Winkewinke wie ein kleines Mädchen. »Hallo, Vaughan. Kennst du mich noch?«
»Ähm … nein, tut mir leid. Bist du Maddy? Madeleine?« Da er mich kalt erwischt hatte, war ich im ersten Moment völlig verdattert. Falls ich ihr vor dem 22. Oktober tatsächlich gram gewesen war, kehrte dieser Groll bei ihrem Anblick nicht zurück. Meine Frau war mir schlicht und einfach völlig fremd – ich verspürte weder Abneigung ihr gegenüber, noch fühlte ich mich zu ihr hingezogen.
»Nicht deine Liebste, du seniler Trottel, sondern meine ! Das ist Linda.«
Mein Hinterkopf sank aufs Kissen. Gary wandte sich an seine Frau. »Siehst du, ich hab’s dir doch gesagt. Er hat alles vergessen. Also erinnert er sich zum Glück auch nicht an eure peinliche Affäre auf Lanzarote.«
Sie kicherte und versetzte ihm spielerisch einen Knuff gegen den Oberarm. »Also ehrlich, Gary! Was redest du denn da? Keine Sorge, Vaughan – wir haben nicht … Ich … bin … Linda … Garys … Frau«, erklärte sie betont langsam, als spräche sie mit einem Ausländer im Koma. Sie beugte sich zu mir herunter, um mir einen Kuss zu geben, beließ es jedoch bei einem Händeschütteln, als sie meine erschrockene Miene sah. »Gary hat mir erzählt, was passiert ist, und jetzt nehmen wir dich mit nach Hause und kümmern uns um dich, stimmt’s, Gaz?«
Linda hatte der Stationsschwester ihr Angebot bereits frühmorgens telefonisch unterbreitet, und die konnte es anscheinend kaum erwarten, mich in die Normalität zu entlassen. Trotzdem hatte man sich die Entscheidung natürlich nicht leichtgemacht. Sämtliche Ärzte, die mich beobachtet hatten, waren um eine fachmännische Beurteilung meines prekären geistigen und körperlichen Zustandes gebeten worden und hatten die Frage, ob ein Ortswechsel meinem Genesungsprozess eventuell im Wege stehe, durch die Bank verneint. Und da die Klinik obendrein mein Bett benötigte, war es nicht weiter verwunderlich, dass man mich so schnell wie möglich loswerden wollte.
Nachdem Gary und seine Frau das Krankenhaus von ihrer Qualifikation als beste Freunde und Betreuer überzeugt hatten, überreichte Dr. Lewington mir feierlich ein Abschiedsgeschenk. »Leider gibt es keine Garantie dafür, dass Ihr Gedächtnis Sie nicht noch einmal im Stich und hilflos und desorientiert zurücklässt. Darum möchte ich, dass Sie dieses Namensschild stets um den Hals tragen; für den Notfall stehen die Kontaktdaten des Krankenhauses darauf.«
»Und es ist aus Metall«, setzte Gary hinzu. »Also selbst wenn deine Leiche bis zur Unkenntlichkeit verbrannt wäre, wüssten wir immer noch, dass du es bist.«
Ich bekam eine Reihe von Nachsorgeterminen, mit der reichlich taktlosen Bemerkung, ich möge sie doch bitte nicht vergessen, und dann blieben mir noch ein paar Minuten, um meine Habseligkeiten zusammenzupacken. Abgesehen von den Kleidern, die ich am Leib getragen hatte, beschränkten sich selbige auf eine Packung Papiertaschentücher, eine Rolle Pfefferminzdrops und Bernards Gedächtnisratgeber.
»Schau doch mal vorbei und sag Hallo, wenn du zur Nachsorge kommst«, sagte Bernard wehmütig.
»Wird gemacht, Bernard. Wenn du dann noch hier bist.«
»Haben Sie dasselbe wie unser Gedächtniskünstler?«, fragte Gary.
»Nein. Ich habe einen Gehirntumor«, antwortete Bernard gutgelaunt.
»Oh«, sagte Linda. »Das tut mir sehr leid.«
»Ach, von so einem kleinen Tumor werde ich mich doch nicht unterkriegen lassen. Ich sage immer, was sich auf ›Humor‹ reimt, kann so
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