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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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in der Rolle einer älteren Verwandten, die den Ehrenschutz besorgt, jedesmal mitgenommen gesehen, da Sektionschef Tuzzi nicht abkömmlich war, und später hatte es sich herausgestellt, daß Ulrich mit Diotima auch allein fuhr, wenn Arnheim verreist war. Dieser hatte für solche Ausflüge, wie dann auch für die unmittelbaren Zwecke der Aktion Wagen zur Verfügung gestellt, so viel man brauchte, denn das Fuhrwerk Sr. Erlaucht war in seiner Wappengeschmücktheit zu stadtbekannt und auffällig; es waren übrigens auch nicht Arnheims eigene Wagen, da reiche Leute immer andere finden, die sich ein Vergnügen daraus machen, ihnen gefällig zu sein.
    Solche Ausfahrten dienten nicht nur dem Vergnügen, sondern hatten auch den Zweck, um die Teilnahme einflußreicher oder wohlhabender Personen an dem vaterländischen Unternehmen zu werben, und fanden noch öfter in der städtischen Bannmeile statt als über Land. Die beiden Verwandten sahen gemeinsam viel Schönes; Maria-Theresien-Möbel, Barockpaläste, Menschen, die sich noch auf den Händen ihrer Dienerschaft durch die Welt tragen ließen, neuzeitliche Häuser mit großen Zimmerfluchten, Bankpaläste und die Mischung spanischer Strenge mit den Lebensgewohnheiten des Mittelstands in den Wohnungen hoher Staatsdiener. Im ganzen waren es, was den Adel anging, die Reste einer großen Lebenshaltung ohne fließendes Wasser, und in den Häusern und Konferenzzimmern des bürgerlichen Reichtums wiederholte sich diese als hygienisch verbesserte, geschmackvollere, aber blassere Kopie. Eine Herrenkaste bleibt immer ein wenig barbarisch; Schlacken und Reste, die das Weiterglimmen der Zeit nicht verbrannt hatte ‚waren in den adeligen Schlössern liegen geblieben, wo sie lagen, knapp neben Prunkstiegen trat der Fuß auf Dielen aus weichem Holz, und abscheuliche neue Möbel standen unbekümmert zwischen wundervollen alten Stücken. Die Klasse der Emporgekommenen dagegen, verliebt in die imposanten und großen Momente ihrer Vorgänger, hatte unwillkürlich eine wählerische und verfeinernde Auslese getroffen. War ein Schloß in bürgerlichem Besitz, so zeigte es sich nicht nur wie ein Familienstück von Kronleuchter, durch das man elektrische Drähte gezogen hat, mit moderner Bequemlichkeit versehen, sondern auch in der Einrichtung war weniger Schönes ausgeschieden und Wertvolles dazu gesammelt worden, entweder nach eigener Wahl oder nach dem unwidersprechlichen Rat von Sachverständigen. Am eindringlichsten zeigte sich diese Verfeinerung übrigens nicht einmal in Schlössern, sondern in den Stadtwohnungen, die zeitgemäß mit dem unpersönlichen Prunk eines Ozeandampfers eingerichtet waren, aber in diesem Lande verfeinerten gesellschaftlichen Ehrgeizes durch einen unwiedergeblichen Hauch, ein kaum merkliches Auseinandergestelltsein der Möbel oder die beherrschende Stellung eines Bildes an einer Wand, das zart deutliche Echo einer großen Verklungenheit bewahrten.
    Diotima war entzückt von so viel »Kultur«; sie hatte immer gewußt, daß ihre Heimat solche Schätze berge, aber das Ausmaß überraschte selbst sie. Sie wurden bei Landbesuchen gemeinsam eingeladen, und es fiel Ulrich auf, daß er Obst nicht selten ungeschält aus der Hand essen sah oder ähnliches, während in Großbürgerhäusern das Zeremoniell von Messer und Gabel strenge gewahrt wurde; die gleiche Beobachtung ließ sich auch an der Unterhaltung anstellen, die von vollendeter Distinktion fast nur in Bürgerhäusern war, wogegen in Adelskreisen die bekannte zwanglose, an Kutscher erinnernde Redeweise überwog. Diotima verteidigte das mit Schwärmerei gegen ihren Vetter. Bürgerliche Edelsitze, gab sie zu, seien mit mehr Hygiene und größerer Intelligenz eingerichtet. In den adeligen Landschlössern friere man im Winter; schmale, ausgetretene Treppen seien keine Seltenheit, und muffige, niedrige Schlafräume fänden sich neben prunkvollen Empfangszimmern. Es gebe auch keinen Speisenaufzug und kein Dienerbad. Aber gerade das sei nun einmal in gewissem Sinn das Heroischere, das Ererbte und großartig Nachlässige! schloß sie entzückt.
    Ulrich benützte solche Ausfahrten, um dem Gefühl nachzuforschen, das ihn Diotima verband. Aber da alles dabei voll von Abschweifungen war, muß man ihnen ein wenig folgen, ehe man an das Entscheidende herankommt:
    Damals trugen die Frauen Kleider, die vom Hals bis zu den Knöcheln geschlossen waren, und den Männern, obgleich sie noch heute ähnliche Kleider tragen wie damals, waren

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