Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
nachsagen konnte. Es war natürlich ein völlig sinnloser Kampf, den er da führte, in einer Umgebung, die Arnheim von vornherein rechtgab, und für eine Sache, die gar keine Wichtigkeit besaß; bestenfalls hätte man sagen können, daß diese Sinnlosigkeit den Sinn restloser Selbstverschwendung hatte. Es war aber auch ein ganz aussichtsloser Kampf, denn wenn es Ulrich wirklich einmal gelang, seinen Gegner zu verwunden, so mußte er erkennen, daß er die falsche Seite getroffen hatte; gleich einem geflügelten Wesen erhob sich dann, wenn der Geistmensch Arnheim besiegt am Boden zu liegen schien, der Wirklichkeitsmensch Arnheim mit einem nachsichtigen Lächeln und eilte von solcher Gespräche müßigem Wesen zu Taten nach Bagdad oder Madrid.
Diese Unverwundbarkeit ermöglichte es ihm, der Ungezogenheit des jüngeren Mannes jene freundschaftliche Kameradschaft entgegenzusetzen, über deren Ursprung dieser mit sich nicht ins reine kam. Allerdings war Ulrich selbst daran gelegen, seinen Gegner nicht zu sehr herabzusetzen, denn er hatte sich vorgenommen, nicht so leicht wieder eines der halben und unwürdigen Abenteuer zu beginnen, an denen seine Vergangenheit viel zu reich war, und die Fortschritte, die er zwischen Arnheim und Diotima bemerkte, schenkten diesem Vorsatz eine große Sicherheit. Er richtete die Spitzen seiner Angriffe darum gewöhnlich so ein wie die eines Floretts, die biegsam nachgeben und von einer den Stoß freundschaftlich abschwächenden kleinen Hülle umgeben sind. Diesen Vergleich hatte übrigens Diotima gefunden. Es erging ihr verwunderlich mit ihrem Vetter. Sein offenes Gesicht mit der klaren Stirn, seine ruhig atmende Brust, die freie Beweglichkeit in allen seinen Gliedern verrieten ihr, daß bösartige, hämische, umgebogen-wollüstige Bedürfnisse in diesem Körper nicht zu Hause sein konnten; sie war ja auch nicht ganz ohne Stolz auf solche gute Erscheinung eines Mitglieds ihrer Familie und hatte gleich bei Beginn ihrer Bekanntschaft den Entschluß gefaßt, ihn unter ihre Leitung zu nehmen. Hätte er nun schwarze Haare, eine schiefe Schulter, unreine Haut und eine niedere Stirn gehabt, so würde sie gesagt haben, daß seine Anschauungen dazu stimmten; wie er aber in Wirklichkeit aussah, fiel ihr nur eine gewisse Nichtübereinstimmung mit seinen Ansichten auf und machte sich als unerklärliche Beunruhigung fühlbar. Die Tastfäden ihrer berühmten Intuition fahndeten vergeblich nach der Ursache, aber dieses Fahnden bereitete ihr am anderen Fadenende Vergnügen. In gewissem Sinn, natürlich nicht in einem ganz ernsten, unterhielt sie sich sogar mit Ulrich zuweilen lieber als mit Arnheim. Ihr Überlegenheitsbedürfnis fand an ihm mehr Befriedigung, sie hatte sich sicherer in der Hand, und was sie für seine Frivolität, Verstiegenheit oder nicht erlangte Reife hielt, gab ihr eine gewisse Genugtuung, die den täglich gefährlicher werdenden Idealismus ausglich, den sie in ihren Gefühlen für Arnheim unberechenbar anwachsen sah. Seele ist eine furchtbar schwere Angelegenheit und demzufolge Materialismus eine heitere. Die Regelung ihrer Beziehungen zu Arnheim strengte sie manchmal ebensosehr an wie ihr Salon, und die Geringschätzung für Ulrich erleichterte ihr das Leben. Sie begriff sich nicht, stellte aber diese Einwirkung fest, und das ermöglichte es ihr, wenn sie ihrem Vetter wegen einer seiner Bemerkungen zürnte, ihm einen Blick von der Seite zu senden, der nur ein winziges Lächeln im Augenwinkel war, indes das Auge idealistisch ungerührt, ja sogar ein bißchen verächtlich geradeaus blickte.
Jedenfalls, was immer auch die Gründe gewesen sein mögen, verhielten sich Diotima und Arnheim so zu Ulrich wie zwei Kämpfende, die sich an einem Dritten anhalten, den sie in wechselnder Angst zwischen sich schieben, und solche Lage war für ihn nicht ungefährlich, denn durch Diotima wurde dabei die Frage lebendig: müssen Menschen mit ihrem Körper übereinstimmen oder nicht?
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Eine Abschweifung: Müssen Menschen mit ihrem Körper übereinstimmen?
UNABHÄNGIG VON DEM, wovon die Gesichter sprachen, schaukelte die Bewegung des Wagens auf ihren langen Fahrten die beiden Verwandten, so daß sich die Kleider berührten, ein wenig übereinanderschoben und wieder voneinander entfernten; man konnte es nur an den Schultern erkennen, weil das andere von einer gemeinsamen Decke verhüllt war, aber die Körper empfanden dieses von den Kleidern gedämpfte Berühren so zart verschwommen, wie man die
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