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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Aber ich habe den Eindruck, daß er Angst vor mir hat.«
    Diotim a antwortete nichts darauf. Das, was Ulrich sprach, mochte anmaßend sein, aber es war ihr eingefallen, daß das Gespräch, das er wiedergegeben hatte, keineswegs ganz so war, wie es nach dem Eindruck, den Arnheim in ihr hervorgerufen hatte, hätte sein müssen. Das beunruhigte sie sogar. Obgleich sie Arnheim eines intriganten Zuges ganz unfähig hielt, gewann Ulrich doch an Vertrauen, und sie richtete die Frage an ihn, was also er in der Angelegenheit des Generals Stumm raten würde.
    »Fernhalten!« gab Ulrich zur Antwort, und Diotima konnte sich nicht den Vorwurf ersparen, daß ihr das gut gefiel.

67

Diotima und Ulrich
    DAS VERHÄLTNIS DIOTIMAS zu Ulrich hatte sich in dieser Zeit durch das zur Gewohnheit gewordene Beisammensein sehr gebessert. Sie mußten oft gemeinsam ausfahren, um Besuche zu machen, und er kam mehrmals wöchentlich und nicht selten unangekündigt und zu ungebräuchlichen Zeiten zu ihr. Es war ihnen beiden unter diesen Umständen bequem, aus ihrem verwandtschaftlichen Verhältnis Nutzen zu ziehen und die strengen gesellschaftlichen V orschriften häuslich zu mildern. Diotima empfing ihn nicht immer im Salon und vom Haarknoten bis zum Rocksaum in Vollendung gepanzert, sondern zuweilen in leichter häuslicher Auflösung, wenn das auch bloß eine sehr vorsichtige Auflösung bedeutete. Es war eine Art Zusammengehörigkeit zwischen ihnen entstanden, die hauptsächlich in der Form des Verkehrs lag; aber Formen haben eine Wirkung nach innen, und die Gefühle, aus denen sie gebildet sind, können durch sie auch geweckt werden.
    Ulrich fühlte zuweilen mit aller Eindringlichkeit, daß Diotima sehr schön sei. Sie kam ihm dann wie ein junges, hohes, volles Rind von guter Rasse vor, sicher wandelnd und mit tiefem Blick die trockenen Gräser betrachtend, die es ausrupfte. Er sah sie also auch dann nicht ohne jene Bosheit und Ironie an, die sich durch Vergleiche aus dem Tierreich an Diotimas Geistesadel rächte und aus einem tiefen Zürnen kam; es galt weniger diesem törichten Musterkind als der Schule, in der seine Leistungen Erfolg hatten. »Wie angenehm könnte sie sein,« dachte er »wenn sie ungebildet, nachlässig und so gutmütig wäre, wie es ein großgestalteter warmer weiblicher Körper immer ist, wenn er sich keine besonderen Ideen einbildet!« Die berühmte Gattin des vielberaunten Sektionschefs Tuzzi verflüchtigte sich sodann aus ihrem Körper, und es blieb nur dieser selbst übrig wie ein Traum, der samt Polstern, Bett und Träumendem zu einer weißen Wolke wird, die mit ihrer Zärtlichkeit ganz allein auf der Welt ist.
    Kehrte Ulrich aber von einem solchen Ausflug der Einbildungskraft zurück, so sah er einen strebsamen bürgerlichen Geist vor sich, der Verkehr mit adeligen Gedanken suchte. Körperliche Verwandtschaft bei starkem Wesensgegensatz beunruhigt übrigens, und es genügt dazu auch schon die Vorstellung der Verwandtschaft, das Selbstbewußtsein; Geschwister können sich manchmal in einer Weise nicht ausstehen, die weit über alles hinausreicht, was daran gerechtfertigt sein könnte, und bloß davon kommt, daß sie einander schon durch ihr Dasein in Zweifel ziehen und eine leise verzerrende Spiegelwirkung auf einander haben. Es genügte manchmal, daß Diotima ungefähr ebenso groß war wie Ulrich, um den Gedanken zu wecken, daß sie mit ihm verwandt sei, und ihn Abneigung gegen ihren Körper fühlen zu machen. Er hatte ihr da, wenn auch mit einigen Veränderungen, eine Aufgabe übertragen, die sonst sein Jugendfreund Walter innehatte; eigentlich die, seinen Stolz zu demütigen und zu reizen, ähnlich wie uns alte unangenehme Bilder, in denen wir uns wiedersehen, vor uns demütigen und zugleich in unserem Stolz herausfordern. Es ging daraus hervor, daß auch in dem Mißtrauen, das Ulrich Diotima schenkte, etwas Bindendes und Zusammenschließendes, kurz ein Hauch echter Neigung vorhanden sein mußte, so wie die einstige herzliche Zugehörigkeit zu Walter sich noch in der Form des Mißtrauens fortfristete.
    Das befremdete Ulrich, da er doch Diotima nicht mochte, lange Zeit sehr, ohne daß er dahinter kommen konnte. Sie machten manchmal gemeinsame kleine Ausflüge; mit Tuzzis Unterstützung wurde das gute Wetter benützt, um Arnheim trotz der ungünstigen Jahreszeit »die Schönheiten der Umgebung Wiens« zu zeigen – Diotima gebrauchte niemals einen anderen Ausdruck dafür als dieses Klischee –, und Ulrich hatte sich

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