Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
Dinge in einer Mondnacht sieht. Ulrich war für dieses Kunstspiel der Liebe nicht unempfänglich, ohne es sonderlich ernst zu nehmen. Das überfeinerte Übertragen des Begehrens vom Leib auf die Kleidung, von der Umarmung auf die Widerstände oder mit einem Wort vom Ziel auf den Weg kam seiner Natur entgegen; sie wurde durch ihre Sinnlichkeit zur Frau hingetrieben, aber durch ihre höheren Kräfte von dem fremden, nicht zu ihr passenden Menschen zurückgehalten, den sie plötzlich unerbittlich deutlich vor sich sah, so daß sie sich immer in lebhaften Widersprüchen zwischen Neigung und Abneigung befand. Aber das heißt, daß die hohe Schönheit des Leibes, die menschliche, der Augenblick, wo die Melodie des Geistes aus dem Instrument der Natur aufsteigt, oder jener andere Augenblick, wo der Körper wie ein Kelch ist, den ein mystischer Trank erfüllt, ihm Zeit seines Lebens fremd geblieben war, wenn man von den Träumen absieht, die der Frau Major gegolten und solche Neigungen für die längste Zeit in ihm abgeschafft hatten.
Alle seine Beziehungen zu Frauen waren seither unrecht gewesen, und bei einigem guten Willen auf beiden Seiten geht das leider sehr einfach. Da gibt es ein Schema von Gefühlen, Handlungen und Verwicklungen, das Mann und Frau, sobald sie nur den ersten Gedanken daran wenden, bereit finden, sich ihrer zu bemächtigen, und es ist ein im inneren Sinn verkehrter Ablauf, bei dem die letzten Geschehnisse voran sich aufdrängen, kein Strömen von der Quelle mehr; das reine Gefallen zweier Menschen aneinander, dieses schlichteste und tiefste der Liebesgefühle, das der natürliche Ursprung aller anderen ist, kommt bei dieser psychischen Verkehrung überhaupt nicht mehr vor. So erinnerte sich auch Ulrich nicht selten bei seinen Fahrten mit Diotima an ihren Abschied bei seinem ersten Besuch. Er hatte damals ihre milde Hand in der seinen gehalten, eine künstlich und edel vervollkommnete Hand ohne Schwere, und sie hatten einander dabei in die Augen gesehn; sie hatten sicher beide Abneigung gefühlt, aber daran gedacht, daß sie einander doch bis zum Verhauchen durchdringen könnten. Etwas von dieser Vision war zwischen ihnen stehen geblieben. So wenden oben zwei Köpfe einander eine entsetzliche Kälte zu, während unten die Körper widerstandslos und glühend ineinanderfließen. Es liegt etwas bösartig Mythisches darin, wie in einem zweiköpfigen Gott oder dem Pferdefuß des Teufels, und hatte Ulrich in seiner Jugend, als er es öfter erlebte, viel irre geführt, aber mit den Jahren hatte sich erwiesen, daß es nichts sei als ein sehr bürgerliches Reizmittel der Liebe, ganz im gleichen Sinn wie der Ersatz der Nacktheit durch das Entkleidete. An nichts entzündet sich die bürgerliche Liebe so sehr wie an der schmeichelhaften Erfahrung, daß man die Kraft besitzt, einen Menschen in ein Entzücken zu jagen, worin er sich so toll benimmt, daß man geradezu zum Mörder werden müßte, wenn man auf zweite Weise die Ursache solcher Veränderungen werden wollte. – Und wahrhaftig, daß es solche Veränderungen zivilisierter Menschen gibt, daß solche Wirkung von uns ausgeht!: liegt nicht diese Frage und Verwunderung in den kühnen und verglasten Augen all derer, die an der einsamen Insel der Wollust anlegen, wo sie Mörder, Schicksal und Gott sind und auf äußerst bequeme Weise den höchsten ihnen erreichbaren Grad von Irrationalität und Abenteuerlichkeit erleben?
Die Abneigung, die er mit der Zeit gegen diese Art Liebe erwarb, erstreckte sich schließlich auch auf seinen eigenen Körper, der das Zustandekommen solcher verkehrten Verbindungen immer begünstigt hatte, indem er den Frauen eine gangbare Männlichkeit vorspiegelte, für die Ulrich zu viel Geist und innere Widersprüche besaß. Er war mitunter geradezu auf seine Erscheinung wie auf einen mit billigen und nicht ganz lauteren Mitteln arbeitenden Rivalen eifersüchtig, worin Widerspruch zutage trat, der auch in anderen vorhanden ist, die ihn nicht fühlen. Denn er war es selbst, der diesen Körper mit athletischen Übungen pflegte und ihm die Gestalt, den Ausdruck, die Handlungsbereitschaft gab, deren Wirkung nach innen nicht zu gering ist, als daß man sie mit dem Einfluß eines ewig lächelnden oder eines ewig ernsten Gesichtes auf die Gemütsstimmung vergleichen könnte; und merkwürdigerweise hat die Mehrzahl der Menschen entweder einen verwahrlosten, von Zufällen geformten und entstellten Körper, der zu ihrem Geist und Wesen in fast
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