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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Leute mit solcher Unkenntnis von ‚Blutgeneralen‘ sprechen? Ich habe das Gefühl, daß ich die älteren Herren, die sonst hieher kommen, ganz gut verstehe, obgleich sie doch gewiß auch ganz und gar unmilitärisch sind. Zum Beispiel wenn der berühmte Dichter – ich weiß nicht, wie er heißt, dieser große ältere Herr mit Bauch, der die Verse über die griechischen Götter, die Sterne und die ewigen Menschengefühle gemacht haben soll; die Dame des Hauses hat mir gesagt, er soll wirklich ein Dichter sein, in einer Zeit, die sonst höchstens Intelligenz hervorbringt – also wie gesagt, ich habe nichts von ihm gelesen, aber ich würde ihn bestimmt verstehn, wenn seine Bedeutung wirklich in der Hauptsache darin liegt, daß er sich mit nichts Kleinem abgibt, denn schließlich nennen wir beim Militär das einen Strategen. Der Feldwebel, wenn Sie mir dieses untergeordnete Beispiel gestatten, muß sich natürlich um das Wohlergehen jedes einzelnen Mannes in seiner Kompagnie kümmern; der Stratege dagegen rechnet mit dem Menschentausend als kleinster Einheit und muß auch zehn solcher Einheiten auf einmal opfern können, wenn es ein höherer Zweck verlangt. Ich finde, daß es keine Logik hat, wenn man das in dem einen Fall einen Blutgeneral, in dem andern eine ewige Gesinnung nennt, und bitte Sie, es mir zu erklären, wenn das möglich ist!«
    Arnheims sonderbare Lage in dieser Stadt und Gesellschaft hatte eine gewisse, sonst sorgsam zurückgehaltene Lust zu Spott in ihm geweckt. Er wußte, wen der kleine Herr meinte, wenn er es auch nicht zu erkennen gab; außerdem kam es auch nicht darauf an, er selbst hätte ihm noch einige andere Spielarten von dieser großen Sorte anführen können. Sie hatten an diesem Abend schlechte Figur gemacht, das war nicht zu übersehen.
    Arnheim hielt, unangenehm einen Augenblick nachdenkend, den Rauch der Zigarre zwischen den geöffneten Lippen zurück. Seine eigene Lage war in diesem Kreis auch keine ganz leichte gewesen. Er hatte trotz aller Geltung manche böse Bemerkung zu hören bekommen, als wäre sie gegen ihn selbst gerichtet, und was verdammt wurde, war oft nicht weniger als das, was er in seiner Jugend geliebt hatte, gerade so wie diese jungen Leute nun die Ideen ihrer Generation liebten. Er erlebte es als ein sehr eigentümliches Gefühl, man könnte es beinahe unheimlich nennen, von jungen Leuten geehrt zu werden, die im gleichen Atem eine Vergangenheit, an der er selbst heimlich beteiligt war, rücksichtslos verhöhnten; Arnheim verspürte dabei Elastizität, Verwandlungsfähigkeit, Unternehmungslust in sich, fast könnte man sagen, die kühne Rücksichtslosigkeit eines gut verborgenen schlechten Gewissens. Er überlegte blitzschnell, was ihn von dieser neuen Generation trennte. Die jungen Leute widersprachen einander in allem und jedem, eindeutig gemeinsam war ihnen nur, daß es der Objektivität, der geistigen Verantwortung, der ausgeglichenen Person zu Leibe ging.
    Ein besonderer Umstand erlaubte Arnheim, beinahe etwas wie Schadenfreude dabei zu empfinden. Die Überschätzung gewisser seiner Altersgenossen, an denen das Persönliche in einer besonders großen Weise hervortrat, war ihm immer schon unsympathisch gewesen. Namen nannte ein so vornehmer Gegner wie er natürlich nicht einmal in Gedanken, aber er wußte genau, an wen er dachte. »Ein nüchterner, modester Junge, lüstern nach illüstrer Lust« – um mit Heine zu sprechen, den Arnheim in verborgener Weise liebte und in diesem Augenblick zu sich zitierte. »Man muß seine Bestrebungen rühmen und seinen Fleiß in der Poesie… die bittere Mühe, die unsägliche Beharrlichkeit, die ingrimmigen Anstrengungen, womit er seine Verse ausarbeitet…« »Die Musen sind ihm nicht hold, aber er hat den Genius der Sprache in der Hand« »Den beängstigenden Zwang, den er sich antun muß, nennt er eine große Tat in Worten«. Arnheim besaß ein vortreffliches Gedächtnis und konnte seitenlang auswendig zitieren. Er schweifte ab. Er bewunderte, wie Heine, einen Mann seiner eigenen Zeit bekämpfend, Erscheinungen da vorweggenommen hatte, die jetzt erst in vollem Ansehen standen, und es regte ihn zu eigenen Leistungen an, als er sich nun dem zweiten Vertreter großer deutscher idealistischer Gesinnung, dem Dichter des Generals zuwandte. Das war nach dem mageren der fette Geistesschlag. Sein feierlicher Idealismus entsprach jenen großen tiefen Blasinstrumenten in den Orchestern, welche in die Höhe gestellten Lokomotivkesseln

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