Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
damit zufrieden und habe meinen Zweck erreicht.« Spöttischer Unglaube in den Augen rings umher antwortete ihm, und er fügte zornig hinzu: »Dadurch, daß ich die Anklage erzwungen habe, bin ich mit dem Beweisverfahren zufrieden!« Der Vorsitzende, der jetzt ganz Strenge und Strafe geworden war, verwies es ihm mit der Bemerkung, daß es dem Gerichtshof nicht auf seine Zufriedenheit ankomme. Dann las er ihm das Todesurteil vor, genau so, als ob der Unsinn, den Moosbrugger zum Vergnügen aller Anwesenden während der ganzen Verhandlung gesprochen hatte, nun auch einmal ernst beantwortet werden müßte. Da sagte Moosbrugger nichts, damit es nicht wie ein Schreck aussehe. Dann wurde die Verhandlung geschlossen, und alles war vorbei. Da aber wankte doch sein Geist; er wich zurück, ohnmächtig gegen den Hochmut der Verständnislosen; er drehte sich um, den schon die Justizsoldaten hinausführten, kämpfte um Worte, reckte die Hände empor und rief mit einer Stimme, welche die Stöße seiner Wächter abschüttelte: »Ich bin damit zufrieden, wenn ich Ihnen auch gestehen muß, daß Sie einen Irrsinnigen verurteilt haben!«
    Das war eine Inkonsequenz; aber Ulrich saß atemlos. Das war deutlich Irrsinn, und ebenso deutlich bloß ein verzerrter Zusammenhang unsrer eignen Elemente des Seins. Zerstückt und durchdunkelt war es; aber Ulrich fiel irgendwie ein: wenn die Menschheit als Ganzes träumen könnte, müßte Moosbrugger entstehn. Er ernüchterte sich erst, als der »elende Hanswurst von Verteidiger«, wie ihn Moosbruggers Undank einmal im Lauf der Verhandlung genannt hatte, wegen irgendwelcher Einzelheiten die Nichtigkeitsbeschwerde anmeldete, während ihrer beider riesiger Klient abgeführt wurde.

19

Briefliche Ermahnung und Gelegenheit, Eigenschaften zu erwerben Konkurrenz zweier Thronbesteigungen
    IN SOLCHER WEISE verging die Zeit, da empfing Ulrich einen Brief seines Vaters. »Mein lieber Sohn! Es sind nunmehr wieder Monate verflossen, ohne daß Deinen spärlichen Nachrichten zu entnehmen gewesen wäre, daß Du auf Deiner Laufbahn den geringsten Schritt vorwärts getan oder einen solchen vorbereitet hättest.
    Ich will freudig anerkennen, daß mir im Lauf der letzten Jahre von mehreren geschätzten Seiten die Genugtuung zuteil geworden ist, Deine Leistungen loben und auf Grund ihrer Dir eine aussichtsreiche Zukunft zusprechen zu hören. Aber einerseits Dein, allerdings nicht von mir, ererbter Hang, zwar, wenn Dich eine Aufgabe lockt, die ersten Schritte stürmisch zurückzulegen, dann aber gleichsam ganz zu vergessen, was Du Dir und denen schuldest, die ihre Hoffnungen auf Dich gesetzt haben, andrerseits der Umstand, daß ich Deinen Nachrichten auch nicht das geringste Zeichen zu entnehmen vermag, das auf einen Plan für Dein weiteres Verhalten schließen ließe, erfüllen mich mit schwerer Sorge.
    Nicht nur bist Du in einem Alter, wo andere Männer sich schon eine feste Stellung im Leben geschaffen haben, sondern ich kann jederzeit sterben, und das Vermögen, das ich Dir und Deiner Schwester zu gleichen Teilen hinterlassen werde, wird zwar nicht gering sein, unter heutigen Verhältnissen aber doch nicht so groß, daß sein Besitz allein Dir eine gesellschaftliche Position sichern könnte, die Du Dir also vielmehr selbst endlich schaffen mußt. Der Gedanke, daß Du seit Deinem Doktorat nur ganz ungefähr von Plänen sprichst, die sich auf verschiedensten Gebieten bewegen sollen und die Du in Deiner gewohnten Art vielleicht stark überschätzt, nie aber von einer Befriedigung schreibst, die Dir ein Lehrauftrag gewähren würde, noch von einer Fühlungnahme wegen solcher Pläne mit irgendeiner Universität, noch sonst von Fühlung mit maßgebenden Kreisen, das ist es, was mich zuweilen mit schwerer Sorge erfüllt. Ich kann gewiß nicht in den Verdacht kommen, daß ich die wissenschaftliche Selbständigkeit herabsetzen will, der ich vor siebenundvierzig Jahren in meinem Dir bekannten, jetzt in 12. Auflage erscheinenden Werk ‚Die Zurechnungslehre des Samuel Pufendorf und die moderne Jurisprudenz‘, die wahren Zusammenhänge ans Licht setzend, als erster mit den diesbezüglichen Vorurteilen der älteren Strafrechtsschule gebrochen habe, allein ebensowenig vermag ich nach den Erfahrungen eines arbeitsreichen Lebens anzuerkennen, daß man sich nur auf sich selbst stelle und die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen vernachlässige, e welche der Arbeit des Einzelnen erst den Rückhalt leihen, durch

Weitere Kostenlose Bücher