Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
Finger gebrochen, als dieser ihn züchtigen wollte. Einem andern verschwand er mit Geld; aus notwendiger Gerechtigkeit, wie er sagte. Er hielt es auf keinem Platz lange aus; solang er in seiner wortkarg mit freundlicher Ruhe und riesigen Schultern arbeitenden Art, wie es anfangs immer geschah, die Leute in Scheu hielt, blieb er; sobald sie vertraulich und respektlos mit ihm umzugehen begannen, als würden sie ihn nun erkannt haben, packte er sich fort, denn ein unheimliches Gefühl ergriff ihn dann, so als wäre er nicht fest in seiner Haut. Einmal hatte er es zu spät getan; da verschworen sich vier Maurer auf einem Bau, ihn ihre Überlegenheit fühlen zu lassen und vom obersten Stockwerk das Gerüst hinunterzustürzen; er hörte sie schon hinter seinem Rücken kichern und herankommen, da warf er sich mit seiner unermeßlichen ganzen Kraft auf sie, stürzte den einen zwei Treppen hinab und zerschnitt zwei andren alle Sehnen des Arms. Daß er dafür bestraft wurde, hatte sein Gemüt erschüttert, wie er sagte. Er wanderte aus. In die Türkei; und wieder zurück, denn die Welt hielt überall gegen ihn zusammen; kein Zauberwort kam gegen diese Verschwörung auf und keine Güte.
    Solche Worte hatte er in den Irrenhäusern und Gefängnissen eifrig gelernt; französische und lateinische Scherben, die er an den unpassendsten Stellen in seine Reden steckte, seit er herausbekommen hatte, daß es der Besitz dieser Sprachen war, was den Herrschenden das Recht gab, über sein Schicksal zu »befinden«. Aus dem gleichen Grund bemühte er sich auch in Verhandlungen, ein gewähltes Hochdeutsch zu sprechen, sagte etwa, »das muß als Grundlage meiner Brutalität dienen« oder »ich hatte sie mir noch grausamer vorgestellt, als ich derlei Weiber sonst einschätze«; wenn er aber sah, daß auch das den Eindruck verfehlte, schwang er sich nicht selten zu einer großen schauspielerischen Pose auf und erklärte sich höhnisch als »theoretischen Anarchisten«, der sich von den Sozialdemokraten jederzeit retten lassen könnte, wenn er von diesen ärgsten jüdischen Ausbeutern des arbeitenden, unwissenden Volks etwas geschenkt nehmen wollte: Da hatte auch er eine »Wissenschaft«, ein Gebiet, auf das ihm die gelehrte Anmaßung seiner Richter nicht folgen konnte.
    Gewöhnlich trug ihm das die Gerichtssaalzensur der »bemerkenswert en Intelligenz«, ehrenvolle Beachtung während der Verhandlung und strengere Strafen ein, aber im Grunde empfand seine geschmeichelte Eitelkeit diese Verhandlungen als die Ehrenzeiten seines Lebens. Deshalb haßte er auch niemand so inbrünstig wie die Psychiater, die glaubten, sein ganzes schwieriges Wesen mit ein paar Fremdworten abtun zu können, als wäre es für sie eine alltägliche Sache. Wie immer in solchen Fällen, schwankten unter dem Druck der sich ihnen überordnenden juristischen Vorstellungswelt die medizinischen Gutachten über seinen Geisteszustand, und Moosbrugger ließ sich keine dieser Gelegenheiten entgehn, um in öffentlicher Verhandlung seine Überlegenheit über die Psychiater zu beweisen und sie als aufgeblasene Tröpfe und Schwindler zu entlarven, die ganz unwissend seien und ihn, wenn er simuliere, ins Irrenhaus aufnehmen müßten, statt ihn ins Zuchthaus zu schicken, wohin er gehöre. Denn er leugnete seine Taten nicht, er wollte sie als Unglücksfälle einer großen Lebensauffassung verstanden wissen. Die kichernden Weiber waren vor allem gegen ihn verschworen; sie hatten alle ihre Schürzenbuben, und das gerade Wort eines ernsten Mannes achteten sie für nichts, wenn nicht gar für eine Beleidigung. Er ging ihnen aus dem Weg, solang er konnte, um sich nicht reizen zu lassen; aber nicht allezeit war das möglich. Es kommen Tage, wo man als Mann ganz dumm im Kopf wird und nichts mehr anpacken kann, weil die Hände vor Unruhe schwitzen. Und muß man dann nachgeben, so kann man sicher sein, daß schon beim ersten Schritt, fern über den Weg wie eine Vorpatrouille, welche die andren geschickt haben, solch ein wandelndes Gift kreuzt, eine Betrügerin, die den Mann heimlich auslacht, während sie ihn schwächt und ihm ihr Theater vormacht, wenn sie nicht noch viel Schlimmeres ihm in ihrer Gewissenlosigkeit antut!
    Und so war das Ende jener Nacht gekommen, einer teilnahmslos durchzechten Nacht mit viel Lärm zur Beschwichtigung der inneren Unruhe. Es kann, auch ohne daß man betrunken ist, die Welt unsicher sein. Die Straßenwände wanken wie Kulissen, hinter denen etwas auf das Stichwort

Weitere Kostenlose Bücher