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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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seinem Verteidiger die unvorhersehbarsten Schwierigkeiten. Er saß breit wie ein Zuschauer auf seiner Bank, rief dem Staatsanwalt Bravo zu, wenn dieser etwas für seine Gemeingefährlichkeit vorbrachte, das ihm seiner würdig erschien, und teilte lobende Zensuren an Zeugen aus, die erklärten, niemals etwas an ihm bemerkt zu haben, was auf Unzurechnungsfähigkeit schließen ließe. »Sie sind ein drolliger Kauz« schmeichelte ihm von Zeit zu Zeit der die Verhandlung leitende Richter und zog gewissenhaft die Schlingen zusammen, die sich der Angeklagte gelegt hatte. Dann stand Moosbrugger einen Augenblick lang erstaunt wie ein in der Arena gehetzter Stier, ließ die Augen wandern und merkte an den Gesichtern der Umsitzenden, was er nicht verstehen konnte, daß er sich abermals eine Lage tiefer in seine Schuld hineingearbeitet hatte.
    Es zog Ulrich besonders an, daß seiner Verteidigung offenbar ein schattenhaft kenntlicher Plan zugrunde lag. Er war weder mit der Absicht ausgegangen zu töten, noch durfte er seiner Würde halber krank sein; von Lust konnte überhaupt nicht gesprochen werden, sondern nur von Ekel und Verachtung: also mußte die Tat ein Totschlag sein, zu dem ihn das verdächtige Benehmen des Weibes, »dieser Karikatur eines Weibes«, wie er sich ausdrückte, verleitet hatte. Wenn man ihn recht verstand, verlangte er sogar, daß man seinen Mord für ein politisches Verbrechen ansehe, und machte manchmal den Eindruck, daß er gar nicht für sich, sondern für diese Rechtskonstruktion kämpfe. Die Taktik, die der Richter dagegen anwandte, war die übliche, in allem nur die plump listigen Anstrengungen eines Mörders zu sehn, der sich seiner Verantwortung entziehen will. »Warum haben Sie sich die blutigen Hände abgewischt? – Warum haben Sie das Messer weggeworfen? – Warum haben Sie nach der Tat frische Kleider und Wäsche angezogen? – Weil es Sonntag war? Nicht, weil sie blutig waren? – Weshalb sind Sie zu einer Unterhaltung gegangen? Die Tat hat Sie also nicht gehindert, das zu tun? Haben Sie überhaupt Reue empfunden?« Ulrich verstand gut die tiefe Entsagung, mit der Moosbrugger in solchen Augenblicken seine unzureichende Erziehung anklagte, die ihn verhinderte, dieses aus Unverständnis geflochtene Netz aufzuknoten, was aber in der Sprache des Richters mit strafendem Nachdruck hieß: »Sie wissen immer anderen die Schuld zu geben!« Dieser Richter faßte alles in eins zusammen, ausgehend von den Polizeiberichten und der Landstreicherei, und gab es als Schuld Moosbrugger; für den aber bestand es aus lauter einzelnen Vorfällen, die nichts miteinander zu tun hatten und jeder eine andere Ursache besaßen, die außerhalb Moosbruggers und irgendwo im Ganzen der Welt lag. In den Augen des Richters gingen seine Taten von ihm aus, in den seinen waren sie auf ihn zugekommen wie Vögel, die herbeifliegen. Für den Richter war Moosbrugger ein besonderer Fall; für sich war er eine Welt, und es ist sehr schwer, etwas Überzeugendes über eine Welt zu sagen. Es waren zwei Taktiken, die miteinander kämpften, zwei Einheiten und Folgerichtigkeiten; aber Moosbrugger hatte den ungünstigeren Stand, denn seine seltsamen Schattengründe hätte auch ein Klügerer nicht ausdrücken können. Sie kamen unmittelbar aus dem verwirrt Einsamen seines Lebens, und während alle anderen Leben hundertfach bestehen – in der gleichen Weise gesehn von denen, die sie führen, wie von allen anderen, die sie bestätigen – war sein wahres Leben nur für ihn vorhanden. Es war wie ein Hauch, der sich immerfort deformiert und die Gestalt wechselt. Freilich hätte er seine Richter fragen können, ob ihr Leben denn im Wesen anders sei? Aber so etwas dachte er gar nicht. Vor der Justiz lag alles, was nacheinander so natürlich gewesen war, sinnlos nebeneinander in ihm, und er bemühte sich mit den größten Anstrengungen, einen Sinn hineinzubringen, der der Würde seiner vornehmen Gegner in nichts nachstehen sollte. Der Richter wirkte beinahe gütig in seinem Bemühen, ihn dabei zu unterstützen und ihm Begriffe zur Verfügung zu stellen, selbst wenn es solche waren, die Moosbrugger den fürchterlichsten Folgen auslieferten.
    Es war wie der Kampf eines Schattens mit der Wand, und zum Schluß flackerte Moosbruggers Schatten nur noch gräßlich. Bei dieser letzten Verhandlung war Ulrich dabei. Als der Vorsitzende das Gutachten vorlas, das ihn als verantwortlich erklärte, erhob sich Moosbrugger und tat dem Gerichtshof kund: »Ich bin

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