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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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unter sich hatte, einmal jede Woche einen Sitz in der Oper als einzige Erholung, glaubte er an einen Fortschritt des Ganzen, der irgendwie dem Bild der fortschreitenden Rentabilität seiner Bank ähneln mußte. Aber als Graf Leinsdorf auch das besser zu wissen vorgab und auf das Gewissen Leo Fischels zu wirken begann, fühlte dieser, daß man »doch nie wissen könne« (außer eben in Lombarden und Effekten), und da man zwar nicht weiß, es aber andererseits auch nicht verfehlen möchte, nahm er sich vor, bei seinem Generaldirektor ganz nebenbei anzufragen, was dieser von der Angelegenheit halte.
    Als er das aber tat, hatte der Generaldirektor aus ganz ähnlichen Gründen darüber schon mit dem Gouverneur der Staatsbank gesprochen und war voll im Bilde. Denn nicht nur der Generaldirektor der Lloyd-, sondern selbstverständlich auch der Gouverneur der Staatsbank hatte vom Grafen Leinsdorf eine Einladung erhalten, und Leo Fischel, der nur ein Abteilungsleiter war, verdankte die seine überhaupt bloß den Familienbeziehungen seiner Frau, die aus der hohen Bürokratie stammte und diesen Zusammenhang niemals vergaß, weder in ihren gesellschaftlichen Beziehungen noch in ihren häuslichen Streitigkeiten mit Leo. Deshalb begnügte er sich, als er mit seinem Vorgesetzten von der Parallelaktion sprach, vielsagend den Kopf zu wiegen, was »große Sache« hieß, dereinst aber auch »faule Sache« geheißen haben konnte; das mochte unter keinen Umständen schaden, aber wegen seiner Frau hätte es Fischel wohl mehr gefreut, wenn sich die Sache als faul herausgestellt hätte.
    Vorläufig hatte v. Meier-Ballot, der Gouverneur, der vom Generaldirektor zu Rate gezogen worden, jedoch selbst den besten Eindruck. Als er die »Anregung« des Grafen Leinsdorf empfing, trat er vor den Spiegel – natürlich, wenn auch nicht deshalb und es blickte ihm daraus über Frack und Ordenskettchen das wohlgeordnete Gesicht eines bürgerlichen Ministers entgegen, indem sich von der Härte des Gelds höchstens ganz hinten in den Augen noch etwas hielt, und seine Finger hingen wie Fahnen in der Windstille von seinen Händen herab, als hätten sie nie im Leben die hastigen Rechenbewegungen eines Banklehrlings ausführen müssen. Dieser bürokratisch überzüchtete Hochfinanzier, der mit den hungrigen, frei streifenden wilden Hunden des Börsenspiels kaum noch etwas gemeinsam hatte, sah unbestimmte, aber angenehm temperierte Möglichkeiten vor sich und hatte noch am gleichen Abend Gelegenheit, sich in dieser Auffassung zu bestärken, da er im Industriellenklub mit den früheren Ministern von Holtzkopf und Baron Wisnieczky sprach.
    Diese beiden Herren waren unterrichtete, vornehme und zurückhaltende Männer in irgendwelchen hohen Stellungen, auf die man sie zur Seite gesetzt hatte, als die kurze Übergangsregierung zwischen zwei politischen Krisen, der sie angehört hatten, wieder überflüssig geworden war; es waren Männer, die ihr Leben im Dienst des Staats und der Krone hingebracht hatten, ohne hervortreten zu wollen, außer wenn ihr Allerhöchster Herr es ihnen befahl. Sie wußten von dem Gerücht, daß die große Aktion eine feine Spitze gegen Deutschland erhalten werde. Es bildete ihre Überzeugung nach wie vor dem Scheitern ihrer Mission, daß die beklagenswerten Erscheinungen, die das politische Leben der Doppelmonarchie damals schon zu einem Ansteckungsherd für Europa machten, außerordentlich verwickelt seien. Aber ebenso, wie sie sich verpflichtet gefühlt hatten, diese Schwierigkeiten für lösbar zu halten, als der Befehl dazu an sie erging, wollten sie auch jetzt es nicht für ausgeschlossen erklären, daß mit Mitteln, wie sie Graf Leinsdorf anregte, etwas zu erreichen sei; namentlich fühlten sie, daß ein »Markstein«, eine »glanzvolle Lebenskundgebung«, ein »machtvolles Auftreten nach außen, das auch auf die Verhältnisse im Innern aufrichtend wirkt« so zutreffend von Graf Leinsdorf formulierte Wünsche seien, daß man sich ihnen ebensowenig entziehen konnte, wie wenn verlangt worden wäre, jeder solle sich melden, der das Gute will.
    Möglich wäre es immerhin, daß Holtzkopf und Wisnieczky als Männer, die in öffentlichen Geschäften Kenntnis und Erfahrung besaßen, mancherlei Bedenken empfunden hatten, zumal sie annehmen durften, daß sie selbst zu irgendeiner Rolle in der weiteren Entwicklung dieser Aktion ausersehen seien. Aber Menschen ebener Erde haben es leicht, kritisch zu sein und etwas abzulehnen, das ihnen nicht

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