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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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hinuntergestürzt bin, im Garten erledige.
    Ich schlingere zurück ins Dorf, zum Bootsanleger, ich Schiff in Seenot. Die Übelkeit hält sich im Rahmen des Erträglichen, wenn ich versuche, möglichst wenig auf und ab zu hüpfen. Nun, da ich es zu vermeiden suche, fällt mir auf, wie sehr ich hüpfe normalerweise. Statt des gewohnten Schrittes versuche ich jetzt zu gehen wie ein Zug. Ein gehender Zug. Nun gut, ich bin wohl betrunkener, als mir lieb ist. An meiner Kleidung sind Spuren sehr groben Schmutzes zu erkennen. Die Tiere in den tropischen Büschen machen Krach, als wüssten sie um mein Elend. Als wollten sie mir extra zeigen, wie verdammt putzmunter und lebenslustig sie sind. Morgen werden sie mit Weidenkörbchen auf Biomärkte gehen undmit rosigen Wangen Produkte kaufen wie ausgestorbene Apfelsorten und für sie unglaublich viel Geld bezahlen.
    Am Anleger ist Ruhe. Die Fähre weg, die neue noch nicht da, der Anleger fällt krachend ins Wasser, hebt und senkt sich, es schmatzt und macht Laute, und es ist dunkel. Kein Mond zu sehen, keine Boote, keine Lichter. Ein kleiner Ruck, und ich könnte mich nach vorne fallen lassen, ins Wasser, ins Hafenbecken, in die Tiefe, in die Schiffsschrauben, in den Alkohol. Vielleicht ginge das schnell. Ich beuge mich nach vorne und sehe das schwarze Wasser an, das winkt. Wie das wäre, fernab des physiologischen Vorganges – das Salzwasser, das in die Lunge eintritt. Die Konzentration der Ionen, die in der Lunge höher ist als im übrigen Gewebe, sodass ein Konzentrationsausgleich stattfindet. Da Biomembranen semipermeabel sind, muss der Konzentrationsausgleich mit Hilfe der Diffusion von Wassermolekülen erfolgen. Die Konzentration der Wassermoleküle in der Lunge ist geringer als im anliegenden Gewebe, damit dem Gewebe Wassermoleküle entzogen werden können und die Lunge sich weiter mit Wasser befüllt. Plasmolyse. Dann zerstückelt durch Schiffsschrauben. Ich weiß nicht, wann ich mir das gemerkt habe. Unergründliche Tiefe des Gehirns, da Plasmolyse unnütz neben dem Periodensystem der Elemente und einem Musiktitel der Les Humphrey Singers liegt. Um den Kopf schwerer zu machen, ihn zu nutzen, wie Ron Hubbart das vorschlägt, dessen Werke ich einst in einer Ausstellung bewundert habe. Er hatte in meiner damaligen Sicht die Intelligenz eines normal ausgerüsteten Hausmeisters, was nicht gegen Hausmeister spricht, aber auch nicht für die Verehrer Ron Hubbarts. Oder die Anhänger von Jesus. Oder Hitler. Oder Tyohar. Oder der Rah-Sekte.Ich habe lange gebraucht, bis mir klargeworden ist, dass ich die Menschen grandios überschätzt habe, fast vierzig Jahre lang. Leise erbreche ich mich ins Wasser. Und setze mich gerade hin, denn in mein Erbrochenes zu fallen und vielleicht noch mit Teilen davon auf einem Autopsietisch zu liegen kommt mir so unwürdig vor, wie auf der Toilette eines Flugzeuges sitzend abzustürzen.
    Zeit, nach Hause zu gehen, falls es so etwas hier gibt, auf dieser erbärmlichen Insel.
    Ich versuche mich leise in die Wohnung des Masseurs zu schleichen, was mir geradezu unmöglich scheint, denn das Treppenhaus ist schief gebaut.
    In der Wohnung brennt noch Licht. Der Masseur steht auf, er hatte vor dem Fenster gesessen. Er kommt mir entgegen, er umarmt mich und sagt: »Ich habe mir Sorgen gemacht.«
    Dann falle ich um.

Damals.
Vor zwei Monaten und fünfzehn Tagen.
    Zwei Wochen waren atemlos vergangen. Ich hatte alle Krankenhäuser der Stadt besucht, alle Polizeistationen, hatte Flugblätter verteilt und eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Ich war bei der Botschaft gewesen, hatte mit der Polizei zu Hause telefoniert und einen Detektiv beauftragt. Keine Nacht war ich eingeschlafen, ich war umgefallen, meist in meinen Kleidern, die ich nicht gewechselt hatte, seit jenem Donnerstag, seit der Mann verschwunden war. Seit er verschwunden war, dachte ich an einem Morgen, als ich aufwachte, wie ich immer aufgewacht war in den vergangenen zwei Wochen, ohne Übergang, ohne gemütliches Sichstrecken, ohne den Tag freundlich zu begrüßen.
    Vom Schlafen in die Senkrechte und losgelaufen war ich, zu all meinen Terminen, Besprechungen, Übersetzern, Führern, und so wachte ich wieder auf und wollte los, und merkte: Es gab nichts mehr zu tun. Ich hatte keine Verabredung, da gab es keine Notwendigkeit, aktiv zu werden, außer alles von vorne beginnen zu lassen. Mit aufgerissenen Augen in der Anmeldung von Kliniken stehen, wahnsinnige Minuten verbringen in Hoffnung, und immer die

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