Der Mantel - Roman
die Fragen nicht beantworten konnte. Indien war sicherlich eine unpassende Antwort, sie hätte mehr Fragen nach sich gezogen. Er entschloss sich für ein schwaches Lächeln mit »Tierheim, Mischling«. An weiteren Spekulationen über die mitenthaltenen Rassen im Genom seines Kuckucksjungen beteiligte er sich nicht. Es fehlte ihm dafür die Kenntnis der einschlägigen Hunderassen.
Nein, nachdem er alle Optionen geprüft hatte, war das Ergebnis niederschlagend eindeutig. Er kannte keinen Abnehmer für Shiva. Weder seinen Eltern noch seinem Bruder konnte er das Tier zumuten. Bei den Freunden sah er keinen, der sich qualifiziert hätte. Aber Bettina – wie sollte er ihr das erklären? Seine Ehe war mal wieder an einem Tiefpunkt. Genau genommen durchlief sie eine ausgedehnte Tiefphase. Es fehlte jegliche Begeisterung füreinander, wie auch ein gemeinsames Projekt. Ein Kind hätte es vielleicht sein können, das hatte sich jedoch nie eingestellt. Sicher lag es auch an ihm, dass ihr Sexualleben eintönig und vor allem sehr sporadisch war. Also hatte es auch weniger Gelegenheiten gegeben, die zum Erfolg hätten führen können. Was dann noch im Wege stand, hatten sie nie herausgefunden. Trotz verzweifelter medizinisch gestützter Versuche. Eine ganze Branche in der Ärzteschaft lebte von diesem Geschäft. Die Sache wurde zu einem der unausgesprochenen Vorwürfe, die ihre Beziehung überschatteten.
Die ungewöhnlich zierliche Perserkatze, die seine Frau wie einen Beweis ihrer Fruchtbarkeit plötzlich aus dem Hut gezaubert hatte, entlastete sie ein wenig. Elfi, so hatte Bettina ihre verhinderte Tochter getauft, wurde zum Lebensmittelpunkt. Sie dürfte aber ebenso ein tödliches Argument gegen einen Hund werden, dachte er. Hund und Katze! Und woher er das Tier hatte? Er würde ihr das kaum erklären können, ohne sich vernichtender Kritik auszusetzen.
Ein roter Faden, schon seit dem gemeinsamen Jurastudium, seine unklaren Positionen und die daraus resultierenden Rückschläge. Damals hatte seine Grundeigenschaft, über eine unsichtbare Entscheidungsschwelle hinaus weiter abzuwägen, noch einen gewissen Charme gehabt. Ein feiner Humor, die lockigen dunklen Haare, die das runde Gesicht umrahmten wie bei einem Rubens-Engel – alles fügte sich in ein liebenswertes Gesamtbild. Sein immenses geschichtliches Wissen und seine Bildung hatten Bettina imponiert. Noch eindrucksvoller waren natürlich die anderen Überflieger, die Jura mit Bedacht und Begeisterung als Studium gewählt hatten. Ulrich gehörte dagegen wie Bettina zu den Verlegenheitsjuristen, die das riesige Heer der Mittelmäßigkeit ausmachten. Man diffundierte in alle erdenklichen Berufe, arbeitete als Taxifahrer, als Restaurantchef oder, wie Bettina, als Versicherungssachbearbeiterin in der Schadensabteilung. Fast die Höchststrafe für einen Akademiker. Ulrich selbst rettete sich in eine kleine Anwaltskanzlei.
Bettina hatte es beeindruckt, dass er trotz schwacher Examensergebnisse gleich in eine recht renommierte Kanzlei eintreten konnte. Das hatte Schmidts Vater ermöglicht. Vielleicht gerade darum vergaß er nie den vernichtenden Satz seines Repetitors unter einer Übungsklausur: »Mal ganz ehrlich, wenn ich der Vater wäre, hätte ich von dem Studium abgeraten.« Richtig, dachte Schmidt, aber nicht besonders hilfreich.
Die sieben Jahre in der Kanzlei blieben nur eine Etappe. Man war mit ihm, insbesondere mit seiner Mandatsbeschaffungsfähigkeit, nicht zufrieden und Schmidt wurde dort nie heimisch. Eine freudlose Beutegemeinschaft. Immerhin hatte er den Sinnspruch eines Seniors mitnehmen können: »In jedem Menschen steckt ein Prozess. Man muss ihn nur identifizieren und freisetzen können.«
Die Verlegung seiner Arbeit in die Wohnung im Lehel hatte eine Ehekrise mit Bettina ausgelöst. Der Kampf um die zwei Zimmer, die er zur Eröffnung seiner eigenen Kanzlei in der großbürgerlichen Altbauwohnung benötigte, war zäh. Ihre Niederlage im Streit um die Einstellung einer meist halbtägig dort anwesenden Rechtsanwaltsgehilfin und Sekretärin war bitter für sie. Er hatte nur keine Alternative. Immerhin revanchierte sie sich für die aus ihrer Sicht falsche Besetzung und ekelte die gute Bürokraft schon nach zwei Jahren hinaus. Es kam Frau Graseder, keine dreißig Jahre alt, alleinerziehende Mutter eines Kindes und Bettina gegenüber wunderbar anpassungsfähig. Dadurch hatte sich dieser Konfliktherd wieder beruhigt. Ohnehin ging es mehr um das Prinzip ihrer
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