Der Mantel - Roman
im nassen Erdreich aufsetzenden rechten Fuß hinterher nach vorn. Der Spaten kippt in die gleiche Richtung und verfehlt knapp seinen Kopf.
»Verflucht!«, stößt er hervor, richtet sich wieder auf und inspiziert die Einstichstelle. Nach einigen wuchtigen Stößen, mit denen er das Gerät weit ausholend in die Erde rammt, hat er die daumenstarke Wurzel durchtrennt. Er weiß nun, dass es langwierig und anstrengend werden würde. Schon leicht erhitzt durch die ungewohnte körperliche Arbeit, öffnet er das Regencape und den fest gewirkten grünen Jägermantel.
***
Immer hatte Shiva von ihm das Äußerste verlangt. Schon damals, vor zehn Jahren, als er unschlüssig mit dem kleinen Hund auf der Straße vor der Wirtschaft stand, hatte er es geahnt. Shiva schien aus seiner Benommenheit aufzuwachen und sprang auf dem Gehweg herum wie aufgezogen, begann an Schmidts Jeans zu kauen. Der riss nach mehreren fruchtlosen Schreien sein Bein heftig los. Auf der Straße stehen und einen Hund anbrüllen, das war die letzte Vorstellung, die er von sich hatte. Ihm waren die missbilligenden Blicke des alten bayerischen Paares nicht entgangen, das das unglückliche Gespann passierte. Ein Hund. Ein Haustier, das er seit jeher als laut und grob und potenziell gefährlich eingestuft hatte. Ein Hund aus Indien. Warum bringt man einen Hund aus Indien mit, warum nicht gleich einen Feuerschlucker oder einen Pfau? Die größte Zuchtanstalt für diese Straßenverunreiniger war doch in Berlin, und das lag quasi vor der Haustür! Zu allem Überfluss der Name, Shiva! Wie der vielarmige, starke, schöne Herrscher über den indischen Pantheon sah dieses zu groß geratene Meerschweinchen nicht aus! Und in der bayerischen Hauptstadt wäre der Name sogar ein richtiges Problem. Die Leute würden sich wundern, fragen. Und Schmidt hasste es aufzufallen.
Die Eingebung, Albrecht Berker aufzusuchen und ihm das Mandat zurückzugeben, verwarf er gleich wieder. Wo wollte er den intellektuellen Geisterfahrer auftreiben?
Ins Tierheim? Konnte er das verwaiste Tier, das da kläffend um ihn herumsprang, so einfach in einen vollen Zwinger mit irgendwelchen großen Hunden sperren? Schmidt war kein Held, aber er war auch nicht feige im Angesicht von Verantwortung. Etwas, das sein Vater ihm unauslöschlich eingetrichtert hatte.
Sollte sich Albrechts Hausfrauenesoterik bestätigen und tatsächlich eine karmische Verbindung bestehen? Er entschloss sich, nicht nach Hause, sondern erst einmal zur nahegelegenen Isar zu laufen, um nachzudenken. Er musste eine andere Möglichkeit finden, eine elegante Weitergabe, ein Geschenk an tierliebe Freunde. Ein Leben mit Shiva kam nicht in Frage. Die Reaktion von Bettina wollte er sich nicht ausmalen.
Missmutig dachte er an seine Verhandlungsniederlage. So chancenlos, wie betäubt, hatte er sich überrumpeln lassen, dass er sich wieder einmal fragte, ob er den richtigen Beruf gewählt hatte. Verhandeln und sich durchsetzen gehörte auch dazu. Ob Albrecht bei dem Versuch, die kleine beige Scheidungsmasse seiner Goa-Beziehung loszuwerden, wirklich gleich an ihn gedacht hatte? Und sich gezielt mit dem Branchenverzeichnis Münchner Anwälte auf seine Spur begeben haben sollte, weil er schon im Studium so durchsetzungsschwach war?
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Grimmig rammt er den Spaten in den schwach modrig und nach Pilzen riechenden Boden, um eine neue Wurzel zu durchtrennen. Wie langsam das geht. Aber er hat Zeit. In dieser Nacht muss er fertig werden, nicht eher.
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Vor fast zehn Jahren war das, der erste Spaziergang an der Isar mit dem Hund. Die Strecke sollte ihnen ein vertrautes Ritual werden. An diesem Spätsommernachmittag war die ganze Stadt am Fluss. Menschen lagen auf den Kiesbänken, die der sommerlich träge Fluss freigegeben hatte. Sie pilgerten über die Brücken, flanierten beiderseits des mehrfach geteilten Flusses, saßen auf der Wiese vor der Böschung des Hochufers. Schmidts kleiner Begleiter führte Veitstänze auf und versuchte, sich auf jeden anderen Hund zu stürzen. Da die alle deutlich größer und erwachsener waren, blieben seine waghalsigen Provokationen ungeahndet. Keiner der anderen Hunde nahm ihn ernst. Dafür löste der kleine Neuzugang auf dem Hundeparcours Begeisterungsrufe bei älteren Damen aus: »Der ist ja süß. Woher kommt der? Was für eine Rasse ist das?«
Schmidt war diese Hundehalterkommunikation fremd und eher unangenehm. Er suchte keinen Kontakt und war in leichter Konversation unbeholfen. Umso mehr, wenn er
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