Der Mantel - Roman
häuslichen Herrschaft, denn Bettina war tagsüber in der Versicherung.
Shiva dagegen würde Tag und Nacht regieren. Inakzeptabel. Und Elfi, die ohne ihre langen weißen Haare kaum mehr war als ein Eichhörnchen? Der hyperaktive Gott der Zerstörung würde sie mit einem Biss erledigen – wenn nicht heute, er war ja erst wenige Monate alt, dann später.
Wie groß er wohl werden würde? Er sah nicht nach einem Riesen aus, aber wer wusste das schon. Konnte man die beiden getrennt halten? Die Wohnung, mit Balkon, versteht sich, gehörte bis dahin als Revier gänzlich Elfi. Wie sollte es teilbar sein? Wie würde die völlig verzogene Diva auf den Neuankömmling reagieren? Er drängte diese mehr als berechtigten Fragen zurück und beschloss, das Problem erst einmal entstehen zu lassen. Das war die Stärke des Ohnmächtigen: eine Problemlage beharrlich auszusitzen, auch dann wenn man sie selbst erzeugt hatte. Er würde Bettina unter Zugzwang setzen. Wie Albrecht es mit ihm gemacht hatte. Bei dem Gedanken musste er grinsen.
***
Ein nachtschwarzer Schatten flattert so dicht an Schmidt vorbei, dass er aus seinen Gedanken aufschreckt und hochblickt. Spurlos ist der Vogel in der regennassen Nacht verschwunden. Schmidt blickt mit Entsetzen auf das kleine Häufchen aus brauner Erde, grauen Steinen, Wurzelstücken und Bauschutt, die er vor sich aufgehäuft hat. Er war nur eine Handbreit tief in das Erdreich eingedrungen. Viel liegt noch vor ihm. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, behält den Hut aber wegen des Regens auf. Aus seinen grauen Locken lösen sich Tropfen, die über seine Schläfe in den Hemdkragen fließen. Er will den Mantel nicht ausziehen, da er ihn nirgendwo geschützt aufhängen kann. Also öffnet er zwei weitere Hemdknöpfe. Jetzt rutscht er nicht mehr vom Spaten ab. Er ist geschickter geworden. Aber nun beginnen die Hände zu schmerzen. Seine untere Wirbelsäule lässt sich kaum mehr bewegen. Hoffentlich geht das gut. Er seufzt und sticht erneut in den widerspenstigen Boden.
***
Am Ende jenes ersten Spaziergangs mit Shiva hatte er seinen Entschluss gefasst, Bettina zu ihrem Glück zu zwingen. Er beschleunigte seinen Schritt und ging Richtung Isartor, würdigte das friedliche Parkidyll mit dem hohen Baumbestand, der pittoresken Silhouette des Deutschen Museums und dem Jugendstildenkmal des Müller’schen Volksbads mit keinem Blick mehr.
Er nahm die erste Straßenbahn zum Stachus, wo er auch am Wochenende Blumen kaufen konnte. Shiva gab eine erste Kostprobe seiner Unberechenbarkeit. Er pinkelte ihm auf die leichten Sommerschuhe. Schmidt hatte aus dem Fenster geschaut und das geschäftige Treiben in der Innenstadt beobachtet. Die warme Nässe riss ihn aus den Gedanken über seine schwierige Lage mit Bettina. Er fluchte leise und blickte um sich. Hatte jemand die sich auf dem Gummiboden ausbreitende Nässe bemerkt? Die wenigen Mitfahrenden waren mit sich beschäftigt. Er gab dem kleinen Hund einen Klaps auf den rundlichen Körper. Der quiekte hell. Nun hatte Schmidt die unerwünschte Aufmerksamkeit. Er sprang auf und hastete zum nächsten Ausgang, den verwirrten Hund hinter sich her schleifend.
Er musste ihn auf den Arm nehmen, um an der nächsten Haltestelle nicht noch mehr aufzufallen. Shiva ließ es geschehen, ohne ihn zu beißen. Schmidt war ihm zum ersten Mal dankbar. Shiva schaute ihn nur aus großen braunen Augen ängstlich an. Er hatte sich in seinen Arm geschmiegt. Der im Verhältnis zum Körper mächtige breite Kopf war erwartungsvoll aufgerichtet. Schmidt hatte ihn bisher nicht so genau angesehen. Jetzt fiel ihm die rundliche Figur des Hundes mit den kurzen Beinen auf. Der Kopf mit dem schönen Gesicht, den lustig nach vorn geklappten hellbraunen Ohren, dominierte seine Erscheinung. Die Maske war kraftvoll und aufrichtig, die Nase schwarz und die Augen dunkel, bernsteinfarben und warm. Es lag nicht an dem dichten Verkehr in der Fußgängerzone, dass Schmidt ihn weiter auf dem Arm trug. Er prüfte nicht einmal, ob der Hund untenherum noch nass war. Er sah der Auseinandersetzung mit Bettina entschlossen entgegen.
Das Gesuchte war bald gefunden, ein bunter Sommerstrauß. Aber Bettina war erwartungsgemäß aufgebracht, als er mit dem Hund die Wohnung betrat: »Und du glaubst, dass du mit einem Blumenstrauß Stimmung machen kannst?«
Das hatte gar nicht funktioniert. Blöde Idee, dachte er. Wieder einmal bewies er keine Verhandlungstaktik.
»Ich wollte dir eine Freude machen.«
»Das ist
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